Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
ihrem gewaltigen Organ auf das Haus der Person zu zielen, die sie anrufen wolle.
Aus diesem Grund und angesichts der Tatsache, dass Vesta sich selbst zur Vorsitzenden des Clubs »Ich bin besser als alle anderen« ernannt hatte, erschien Earls Handlungsweise nicht verwunderlich. Er war ein ruhiger, anständiger Mann, der stets das Richtige getan hatte – einer jener stillen Helden, die eine Frau heirateten, weil sie es wünschte und weil sie ihre Gefühle nicht verletzen mochten. Und so übte er auch Zurückhaltung, während Vesta und seine künftige Schwiegermutter alles arrangierten, von der Hochzeit über die Flitterwochen bis zum ehelichen Heim.
Nach der Geburt des einzigen Kindes – Earl jr. war ein weichlicher, schwammiger, blasser kleiner Junge mit braunen Ringellocken, der lauthals nach der Mutter schrie, wann immer der Vater in seine Nähe kam – erkannte Earl seinen schweren Fehler. Aber er blieb ein Gentleman, hielt an der Ehe fest und zog den Sohn auf, mit dem er unter demselben Dach lebte, sein eigen Fleisch und Blut, das ihm aber völlig fremd vorkam.
Er arbeitete bei L & N, befehligte über zweihundert Untergebene, war ungemein tüchtig und genoss hohes Ansehen. Im Ersten Weltkrieg hatte er tapfer seine Pflicht getan und zwei Deutsche getötet. Aber in seinem eigenen Heim spielte er die Rolle eines Kindes – und die zweite Geige hinter Earl jr.
» Streif die Schuhsohlen ab, bevor du ins Haus kommst!«, kommandierte Vesta. » Sitz nicht in diesem Sessel! Du wagst es, in meinem Haus zu rauchen? Geh auf die Veranda! Diese ekligen Fische darfst du nicht hier hereinbringen! Geh damit in den Hinterhof und mach sie erst mal sauber. Entweder du trennst dich von den Hunden, oder ich verlasse dich mit dem Baby! Mein Gott, ist das alles, woran du denken kannst? Die Männer sind wirklich nicht besser als Tiere.«
Sie suchte seine Kleidung und seine Freunde aus, und die wenigen Male, wo er dem kleinen Earl den Hintern versohlen wollte, stürzte sie sich auf ihn wie ein wilder Puter. Schließlich gab er es auf.
Jahrelang hatte er korrekte blaue Anzüge getragen und den Braten tranchiert, war zur Kirche gegangen, Ehemann und Vater gewesen. Niemals sagte er auch nur ein einziges Wort gegen Vesta. Aber nun war der Junge erwachsen, und Earl trat in den Ruhestand. Er bezog eine beträchtliche Pension von L & N, die er Vesta sofort überschrieb, und die Firma schenkte ihm eine goldene Rockford-Uhr. So lautlos, wie er stets gelebt hatte, stahl er sich aus der Stadt und hinterließ nur einen kurzen Brief.
»Nun, das war’s. Ich verschwinde. Wenn Du nicht glaubst, dass ich weggehe, zähl einfach die Tage nach meiner Abreise. Und wenn Du das Telefon nicht läuten hörst – das bin ich, der Dich nicht anruft, leb wohl, altes Mädchen, und viel Glück. Mit freundlichen Grüßen, Earl Adcock.
PS: Ich bin nicht taub.«
Vesta verabreichte dem verdutzten Earl jr. eine schallende Ohrfeige und legte sich für eine Woche ins Bett, einen feuchtkalten Lappen auf der Stirn. Die ganze Stadtbevölkerung gratulierte Earl insgeheim. Hätten die guten Wünsche in Zehndollarscheine umgewandelt werden können, wäre er als reicher Mann in die Welt hinausgezogen.
T HE W EEMS W EEKLY
(W HISTLE S TOP , A LABAMA , W OCHENBLATT )
18. Oktober 1940
W ARNUNG AN DIE E HEFRAUEN
Jetzt ist wieder diese Jahreszeit, und meine andere Hälfte kann’s kaum noch erwarten, mit seiner Gang auf die Jagd zu gehen. Er hat seine Gewehre gereinigt, mit den alten Hunden herumgealbert und alles getan, außer den Mond anzuheulen. Bereiten Sie sich also drauf vor, den Jungs für eine Weile auf Wiedersehen zu sagen. Nichts, was sich bewegt, ist vor ihnen sicher … Erinnern Sie sich an letztes Jahr, wo Jack Butts ein Loch in den Boden des Ruderboots geschossen hat? Idgie erzählte, alle seien zum Grund des Sees hinabgesunken und ganze Entenscharen direkt über ihnen weggeflogen.
Ich gratuliere Stump Threadgoode zum Gewinn des ersten Preises beim wissenschaftlichen Schulwettbewerb, mit seiner Forschungsarbeit: »Die Limabohne – was ist das?« Den zweiten Preis errang Vernon Hadleys Abhandlung: »Experimente mit Seife.«
Im Café steht ein großes Glas voll getrockneter Limabohnen auf der Theke. Idgie sagt, wer errät, wie viele Bohnen da drin sind, bekommt einen Preis.
Das Foto von Mr. Pinto wurde nicht so gut wie erhofft. Man sieht nur verschwommene Flecken.
Ruth bittet mich zu verlautbaren, sie habe den Schrumpfkopf weggeworfen, denn den Leuten
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