Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
brüllen, wo sie doch ohnehin ein Mikrofon in der Hand halten. Wenn die loslegen, schalten wir immer auf ein anderes Programm.
Und ich sage Ihnen noch was – die Witze in den Zeitungen sind gar nicht mehr lustig. Ich erinnere mich, wie wir über Gasoline Alley oder Wee Willie Winkle lachen mussten. Und ich liebte Little Henry, der dauernd in irgendwelche Schwierigkeiten geriet. Ich glaube, die Leute sind nicht mehr fröhlich, nicht so wie damals. Nie sieht man ein fröhliches Gesicht – zumindest ich sehe keins. Neulich sagte ich zu Mrs. Otis, als Frances mit uns einen Einkaufsbummel machte: ›Schau dir doch diese vertrockneten, mürrischen kleinen Gesichter an, sogar bei ganz jungen Leuten …‹«
Evelyn seufzte. »Ich frage mich, warum die Menschen so eklig geworden sind …«
»Oh, dieses Problem gibt’s auf der ganzen Welt, Schätzchen. Das Ende aller Zeiten steht vor der Tür. Vielleicht erreichen wir noch das Jahr 2000, aber das bezweifle ich. Nun, ich höre vielen guten Predigern zu, und die meinen alle, wir befinden uns in der Endzeit. Sie sagen, das steht in der Bibel – in der Offenbarung des Johannes. Genau wissen sie’s natürlich nicht. Niemand weiß das außer dem Allmächtigen. Ich hab’ keine Ahnung, wie lange der liebe Gott mich noch am Leben lässt, aber das sind sicher meine allerletzten Jahre. Ich will bereit sein. Und deshalb will ich nicht schlecht über Mr. Dunaway und Vesta Adcock reden. Leben und leben lassen …«
Evelyn fühlte sich bemüßigt zu fragen: »Was ist denn mit den beiden?«
»Oh, die bildeten sich ein, sie würden einander lieben. Zumindest behaupteten sie das. Oh, Sie hätten sehen sollen, wie die zwei Händchen hielten und rumknutschten. Mr. Dunaways Tochter fand es heraus, kam her und drohte das Heim zu verklagen. Sie nannte Mrs. Adcock eine Nutte.«
»Oh nein!«
»Oh ja, Schätzchen. Sie sagte, die wolle der Familie den Daddy stehlen. Es gab einen Riesenaufruhr, und sie holten Mr. Dunaway für eine Weile nach Hause. Wahrscheinlich fürchteten sie, der alte Knabe und Mrs. Adcock würden eine engere Beziehung eingehen. Ich persönlich denke, dass dieser Traum längst gestorben ist. Geneene erzählte mir, Mr. Dunaway habe seine Manneskraft schon vor Jahren verloren und könne keiner Fliege was zuleide tun. Wem haben die paar Küsse und Umarmungen denn geschadet? Nun ist Vestas Herz gebrochen. Keine Ahnung, was sie tun wird … Aber eins sage ich Ihnen – das ist den anderen egal.«
»Vermutlich«, bestätigte Evelyn.
T HE W EEMS W EEKLY
(W HISTLE S TOP , A LABAMA , W OCHENBLATT )
1. August 1945
E HEMANN FÄLLT IN L ACKFARBE
Wäre ich nicht mit ihm verheiratet, würde ich’s niemals glauben … Meine andere Hälfte hing draußen im Rangierbahnhof rum, als die Truppentransportzüge grade frisch gestrichen wurden, und da fiel er in ein Fünfundsechzig-Liter-Fass voller Lackfarbe. Er konnte rausklettern, aber der Lack trocknete so schnell, dass Wilbur ganz verkrustet war, bevor er einen Fuß auf den Boden setzte. Wir mussten Opal bitten, in unser Haus zu kommen und den Lack aus allem rauszuschneiden, was noch von Wilburs Haaren übrig ist. Zum Glück haben wir keine Kinder. Ich hätte keine Zeit, mich um meine anderen Kinder zu kümmern.
Kennt irgendwer einen guten Babysitter für einen Ehemann?
Wir sind alle so glücklich, weil der Krieg endlich vorbei ist. Gestern kam Bobby Scroggins nach Hause. Und letzten Donnerstag kehrten Tommy Glass und Ray Limeway heim. Hurra!
Nur gute Neuigkeiten. Ninny Threadgoode brachte mir einen vierblättrigen Klee. Sie sagte, den habe sie mit Albert in ihrem Vorgarten gefunden. Danke, Ninny.
Dot Weems
P FLEGEHEIM R OSE T ERRACE
O LD M ONTGOMERY H IGHWAY , B IRMINGHAM , A LABAMA
15. August 1986
Geneene – die schwarze Pflegerin, die behauptete, sie wäre zäh wie Leder – beklagte ihre Erschöpfung. An diesem Tag hatte sie eine Doppelschicht, und sie kam ins Zimmer der beiden Freundinnen, um sich für ein paar Minuten zu setzen und eine Zigarette zu rauchen. Mrs. Otis nahm gerade am Kunstkurs teil, und Mrs. Threadgoode freute sich über die Gesellschaft. »Kennen Sie die Frau, mit der ich mich am Sonntag immer unterhalte?«
»Welche Frau?«, fragte Geneene.
»Evelyn.«
»Wer?«
»Die dicke, kleine Frau mit den grauen Haaren – Evelyn Couch, Mrs. Couchs Schwiegertochter.«
»Ach ja …«
»Sie erzählte mir, seit dieser Mann sie vor dem Pigley-Wigley beschimpft habe, hasse sie die Menschen. Ich sagte ihr: ›Oh,
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