Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
noch Jack – und Ruth ist nicht Gladys oder Mozell. O Gott, Mädchen, ich hasse es, mit anzusehen, wie so was passiert. Erinnerst du dich an die Anfälle, die du hattest, bevor sie endlich hierher zurückkam?«
»Ja, aber manchmal muss ich eben für eine Weile weg. Ich brauche ein bisschen Freiheit, weißt du?«
»Natürlich weiß ich das, Idgie, aber du musst es auch mit ihren Augen sehen. Als sie zu dir zog, gab sie alles andere auf. Sie verließ ihre Heimatstadt und die Freunde, mit denen sie aufgewachsen war – nur um mit dir zusammenzuleben. Du und Stump, ihr seid alles, was sie hat. Und du hast außerdem deine Familie und deine Freunde …«
»Ja, und ich hab’ oft das Gefühl, die mögen Ruth viel lieber als mich.«
»Hör mal, Idgie, jetzt werde ich dir was sagen. Glaubst du nicht, Ruth könnte hier jeden haben, den sie will? Sie müsste nur mit den Fingern schnippen. Also denk gründlich nach, ehe du noch einmal wegläufst.«
In diesem Moment kam Helen Claypoole – eine Fünfzigjährige, die seit Jahren im Club herumhing, Männer abschleppte und mit allem trank, was sich bewegte und ihr Drinks bezahlte – aus der Toilette. Sie war so betrunken, dass sie ihr Kleid in die Strumpfhose gestopft hatte. Taumelnd kehrte sie zu dem Tisch zurück, wo mehrere Männer auf sie warteten. Eva zeigte auf sie. »Schau mal, da ist eine Frau, die ihre Freiheit hat. Niemand schert sich drum, wo sie ist, niemand kontrolliert sie, da kannst du verdammt sicher sein.«
Idgie beobachtete Helen, sah den verschmierten Lippenstift, die Haarsträhnen, die ins Gesicht hingen, die glasigen Augen, die auf die Männer starrten, ohne sie wahrzunehmen. Wenig später sagte sie: »Ich muss gehen und das alles bereinigen.«
»Okay. Das dachte ich mir.«
Zwei Tage später erhielt Ruth einen säuberlich getippten Brief. »Wenn man ein wildes Tier in einen Käfig sperrt, wird es sterben. Aber wenn man’s frei rumlaufen lässt, wird es neun- von zehnmal heimkommen.«
Ruth rief Idgie zum ersten Mal seit drei Wochen an. »Ich hab’ deinen Brief bekommen und mir überlegt, wir sollten wenigstens miteinander reden.«
»Das wäre großartig«, erwiderte Idgie entzückt. »Ich bin gleich bei dir.« Und sie stürmte los, fest entschlossen, auf die Bibel zu schwören – wenn’s sein musste, vor Reverend Scroggins’ Haus –, dass sie Ruth nie wieder belügen würde.
Als sie um die Ecke bog und Cleos und Ninnys Haus auftauchte, wurde sie stutzig, denn sie erinnerte sich an etwas, das Ruth gesagt hatte. Welcher Brief? Idgie hatte ihr keinen geschrieben.
B IRMINGHAM N EWS
15. Oktober 1947
E INARMIGER Q UARTERBACK FÜHRT DAS T EAM ZUM FÜNFTEN S IEG HINTEREINANDER
Im Match gegen Edgewood, beim Stand von 20 zu 20 im vierten Viertel, leitete Buddy (Stump) Threadgoode, einarmiger Quarterback und derzeit im letzten Schuljahr, mit einem grandiosen 43-Yard-Pass den Sieg für Whistle Stop ein.
»Stump ist unser wertvollster Spieler«, sagte Coach Delbert Naves heute in einem Interview. »Sein Siegeswille und sein Teamgeist waren die entscheidenden Faktoren. Trotz seines Handicaps warf er dieses Jahr 37 Pässe, davon 33 erfolgreich. Er holt sich den Ball in der Mitte, presst ihn an die Brust, kriegt ihn in den richtigen Griff und wirft ihn in knapp zwei Sekunden. Sein Tempo und seine Treffsicherheit sind außergewöhnlich.«
Dieser Schüler mit Durchschnittsnote B steht auch in den Baseball- und Basketballteams in vorderster Reihe. Er ist der Sohn von Mrs. Ruth Jamison, Whistle Stop. Als man ihn fragte, wieso er ein so tüchtiger Spieler sei, antwortete er, seine Tante Idgie habe ihn gemeinsam mit seiner Mutter aufgezogen und ihm alles beigebracht, was man über Football und andere Sportarten wissen müsse.
W HISTLE S TOP C AFÉ
W HISTLE S TOP , A LABAMA
28. Oktober 1947
Stump war soeben vom Training nach Hause gekommen und nahm sich eine Cola. Als er an der Theke vorbeiging, hinter der Idgie stand und Smokey Lonesome eine zweite Tasse Kaffee einschenkte, sagte sie: »Ich will mit dir reden, junger Mann.«
Oje, dachte Smokey und vergrub den Kopf in seinem Kuchen. »Was hab’ ich denn angestellt?«, fragte Stump. »Ich hab’ nichts getan …«
»Das glaubst du, Kleiner«, fauchte sie Stump an, der einszweiundachtzig groß war und sich bereits rasierte. »Gehen wir nach hinten.«
Langsam folgte er ihr und setzte sich an den Tisch. »Wo ist Momma?«
»Drüben in der Schule, bei einer Versammlung. Also, junger Mann, was hast du heute
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