Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
Spielzeugmüllwagen auf den Kopf geschlagen.
Als Naughty Bird die tragische Nachricht erhielt, stieg sie aus dem Bett, ging ins Bad, wusch sich das Gesicht und bereitete sich ein Frühstück zu – Schinkeneier, Grütze mit roter Sauce, Biskuits mit Butter und Eagle-Brand-Tafelsirup. Dazu trank sie drei Tassen dampfenden Kaffee. Sie badete, zog sich an, strich ein bisschen Dixie-Peach-Pomade in ihr Haar, beugte sich zum Spiegel vor, um eine dreifache Schicht mandarinenfarbenes Rouge und den passenden Lippenstift aufzutragen, eilte zur Tür hinaus und fuhr nach Birmingham.
Eine Woche später kehrte sie zurück, in Begleitung eines jungen Mannes, der einen karierten Hut mit grüner Feder und einen braunen Gabardineanzug trug und ziemlich verdutzt wirkte.
D IE M ARTIN -L UTHER -K ING -M EMORIAL -B APTISTENKIRCHE
1049 4 TH A VENUE N ORTH , B IRMINGHAM , A LABAMA
21. September 1986
Evelyn hatte Mrs. Threadgoode versprochen, dem Allmächtigen ihre Sorgen anzuvertrauen und Ihn zu bitten, ihr über diese schweren Zeiten hinwegzuhelfen. Bedauerlicherweise wusste sie nicht, wo sich der Allmächtige aufhielt. Seit die Kinder erwachsen waren, hatte sie keine Kirche mehr betreten, ebenso wenig wie Ed. Aber heute sehnte sie sich verzweifelt nach Beistand, nach irgendetwas, woran sie sich klammern konnte. Und so zog sie sich an und fuhr zur Highland-Avenue-Presbyterianerkirche, der sie angehörte.
Aber als sie dort ankam, fuhr sie aus irgendeinem Grund weiter. Schließlich landete sie am anderen Ende der Stadt, auf dem Parkplatz der
Martin-Luther-King-Memorial-Baptistenkirche, der größten Farbigenkirche von Birmingham, und fragte sich, was zum Teufel sie hier machte. Vielleicht lag es an den vielen Geschichten über Sipsey und Onzell, die sie gehört hatte. Sie wusste es nicht.
Ihr Leben lang hatte sie sich als liberal betrachtet. Nie hatte sie das Wort »Nigger«, benutzt. Aber ihr Kontakt mit Schwarzen beschränkte sich, so wie bei der Mehrheit der weißen Mittelschicht vor den sechziger Jahren, auf die Bekanntschaft mit den Dienstmädchen ihrer Freundinnen.
In ihrer Kindheit war sie manchmal mitgekommen, wenn ihr Vater das schwarze Dienstmädchen nach Hause gefahren hatte, zur Südseite. Die lag nur zehn Autominuten entfernt, aber die Gegend erschien Evelyn wie ein fremdes Land. Die Musik, die Kleidung, die Häuser – alles war anders.
Ostern fuhren sie zur Südseite, um die brandneue Osterkleidung zu bewundern – rosa und violett und gelb, mit passenden Federhüten.
Natürlich engagierte man nur farbige Frauen als Haushaltshilfen. Wenn irgendwo in der Nähe ein schwarzer Mann auftauchte, wurde Evelyns Mutter hysterisch und befahl ihr, einen Morgenmantel anzuziehen, »weil ein Farbiger in der Nachbarschaft ist«. Und Evelyn sollte sich ihr Leben lang in Gegenwart schwarzer Männer unbehaglich fühlen.
Die Einstellung ihrer Eltern zu den Farbigen war damals normal und weitverbreitet gewesen. Man fand diese Menschen amüsant, wundervoll und kindlich – Leute, für die man sorgen musste. Jeder wusste komische Geschichten von schwarzen Hausmädchen zu erzählen, oder man schüttelte belustigt den Kopf, weil diese Frauen so viele Kinder bekamen. Man schenkte ihnen abgelegte Kleider und Essensreste und half ihnen, wenn sie in Schwierigkeiten gerieten. Aber als Evelyn etwas älter wurde, fuhr sie nicht mehr zur Südseite und dachte kaum noch an die Schwarzen. Sie war viel zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt.
In den sechziger Jahren, als die Unruhen begannen, war sie genauso schockiert wie die Mehrheit der Weißen in Birmingham. Übereinstimmend erklärte man, es seien nicht »unsere Farbigen«, die den ganzen Ärger machen würden, sondern Außenseiter – Agitatoren, die man aus dem Norden heruntergeschickt habe. Und man behauptete auch, »unsere Farbigen« seien glücklich mit ihrer Lebensweise.
Jahre später fragte sich Evelyn, wo sie mit ihren Gedanken gewesen war, warum sie die Vorgänge am anderen Ende der Stadt nicht registriert hatte.
Nachdem Birmingham so schmerzlich unter den Angriffen von Presse und Fernsehen gelitten hatte, waren die Leute verwirrt und bestürzt. Keine einzige der zahllosen Wohltaten, die weiße Stadtbewohner den Schwarzen erwiesen hatten, wurde erwähnt.
Aber fünfundzwanzig Jahre später amtierte in Birmingham ein schwarzer Bürgermeister, und das Magazin Look nannte Birmingham, einst als Ort des Hasses und der Angst bezeichnet, 1975 die Stadt für alle Amerikaner. Viele
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