Grüne Tomaten: Roman (German Edition)
Brücken wurden gebaut, und die Farbigen, die in den Norden gezogen waren, kehrten nach Hause zurück. Man war weite Wege gegangen.
Evelyn wusste das, aber als sie nun in ihrem Auto auf dem Kirchenparkplatz saß, staunte sie über die vielen Cadillacs und Mercedes-Limousinen ringsum. Sie hatte zwar von den reichen Schwarzen in Birmingham gehört, aber noch keine gesehen. Während sie die Ankunft der Gläubigen beobachtete, kehrte plötzlich ihre alte Furcht vor schwarzen Männern zurück. Sie vergewisserte sich, dass alle ihre Wagentüren geschlossen waren, und sie wollte gerade wegfahren, als ein Elternpaar mit zwei lachenden Kindern an ihr vorbeiging. Das holte sie abrupt in die Gegenwart zurück, und sie beruhigte sich. Nach ein paar Minuten nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und betrat die Kirche.
Doch sie zitterte immer noch, als der Platzanweiser mit der Nelke im Knopfloch ihr lächelnd einen guten Morgen wünschte und sie durch den Mittelgang zu einer Bank führte. Ihr Herz schlug heftig, ihre Knie waren weich. Sie hatte gehofft, sie würde ganz hinten sitzen können, aber der Mann geleitete sie zu einem Platz in der Mitte des Kirchenschiffs.
Der Schweiß brach ihr aus allen Poren, und sie litt an Atemnot. Nur wenige Leute schienen sie anzuschauen. Ein paar Kinder wandten sich zu ihr, starrten sie an, und sie lächelte. Das Lächeln wurde nicht erwidert. Sie beschloss zu gehen, doch da nahmen ein Mann und eine Frau neben ihr Platz, und sie saß mittendrin fest, so wie immer. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie nur von Farbigen umgeben. Sie fühlte sich wie ein Schwarz-Weiß-Foto in einem Buch, das sonst nur bunte Bilder enthielt, wie die hellste Blume eines Gartens.
Die junge Ehefrau an ihrer Seite sah hinreißend aus, elegant gekleidet, als wäre sie einer Modezeitschrift entstiegen. Sie hätte ein New Yorker Model sein können, in ihrem perlgrauen Seidenkostüm, den Schlangenlederschuhen, mit passender Handtasche. Während Evelyn sich umblickte, wurde ihr bewusst, dass sie nie zuvor so viele gutangezogene Leute auf einem Fleck gesehen hatte.
Die Männer bereiteten ihr immer noch Unbehagen. Die Hosen saßen zu eng für Evelyns Geschmack, und so konzentrierte sie sich auf die Frauen. Deren Stärke und Gefühlskraft hatte sie schon immer bewundert. Wie konnten sie weiße Kinder so liebevoll betreuen, so freundlich und hingebungsvoll weiße Greise und Greisinnen pflegen? Dazu wäre sie wohl nie imstande.
Sie beobachtete, wie sie einander begrüßten, mit dieser großartigen Unbefangenheit. Alle bewegten sich anmutig, sogar die dickeren Leute. Den Zorn eines schwarzen Mannes wollte sie sich niemals zuziehen, aber sie hätte gern gehört, wie einer dieser Männer seine Frau »fette Kuh« nannte.
Wie sie nun erkannte, hatte sie Schwarze gesehen, aber niemals richtig wahrgenommen. Was für hübsche Frauen … Die schlanken braunen Mädchen mit den hohen Wangenknochen glichen ägyptischen Königinnen. Und die großen, wundervollen Schwarzen mit den runden Brüsten …
Und früher hatten sie versucht, den Weißen nachzueifern. Wie mussten sie jetzt in ihren Gräbern lachen, wenn sie hörten, wie sich mittelmäßige weiße Sänger um den schwarzen Sound bemühten oder wenn sie weiße Mädchen im Afro-Look erblickten … Das Blatt hatte sich gewendet.
Evelyn begann sich zu entspannen. Nun war ihr etwas leichter ums Herz. Irgendwie hatte sie erwartet, das Innere der Kirche würde anders aussehen. Aber sie schaute sich um und stellte fest, dass es eine von den vielen Dutzend Kirchen in Birmingham sein könnte, die von Weißen besucht wurden. Plötzlich ertönte Orgelmusik. Die zweihundertfünfzig Mitglieder des Kirchenchors, in hellroten und kastanienbraunen Roben, erhoben sich und sangen mit überwältigender Ausdruckskraft:
»Oh happy day …
Oh happy day …
When Jesus washed my sins away …
He taught me how to sing und pray …
And live rejoicing every day …
Oh happy day …
Oh happy day …
When Jesus washed my sins away …
Oh happy, happy day …«
Nachdem sie sich wieder gesetzt hatten, stand der Reverend Portor auf, ein hochgewachsener Mann, dessen Stimme mühelos den ganzen Raum füllte, und begann seine Predigt, die den Titel »Die Freude eines liebenden Gottes« trug. Und er meinte jedes Wort ernst, das spürte Evelyn. Während er sprach, warf er immer wieder den wuchtigen Kopf in den Nacken, jubelte und lachte vor Glück. Die Orgel und die Gemeinde, die ihm antworteten, zeigten
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