Grünes Gift
sich und umarmte sie, damit sie aufhörte zu zittern. Sie standen an der Balustrade und sahen zum Himmel hinauf. Es war eine wolkenlose, klare Nacht. Nicht einmal der Mond schien.
»Und was willst du mir nun zeigen?« fragte Cassy. Beau zeigte auf den nördlichen Himmel. »Richte dein Augenmerk auf die Plejaden im Sternbild des Stieres.«
»Was soll das?« fragte Cassy. »Willst du mir eine Vorlesung in Astronomie halten? Es ist zwei Uhr morgens! Seit wann weißt du überhaupt etwas von Sternbildern?«
»Jetzt paß auf!« befahl Beau.
»Ich passe ja auf«, entgegnete Cassy. »Was soll ich denn sehen?« Genau in dem Augenblick ging ein Regen von Sternschnuppen nieder. Jede von ihnen zog einen extrem langen Schweif hinter sich her. Sie schienen alle denselben Ausgangspunkt zu haben und veranstalteten ein gigantisches Feuerwerk. »Das ist ja wahnsinnig!« rief Cassy und hielt die Luft an, bis der Sternschnuppenregen nachließ. Das Schauspiel war so beeindruckend, daß sie vorübergehend sogar vergaß, wie kalt ihr war. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Es war wunderschön. Nennt man das einen Meteoritenregen?«
»Ich glaube ja«, erwiderte Beau ausweichend. »Glaubst du, das Schauspiel geht noch weiter?« fragte Cassy, die noch immer in den Himmel starrte. »Nein«, erwiderte Beau. »Das war’s.« Er ließ Cassy los, ging mit ihr wieder hinein und schloß die Schiebetür. Cassy rannte zum Bett und schlüpfte unter die Decke. Als Beau kam, hatte sie sich das Laken bis über die Ohren gezogen und zitterte. Sie bat ihn, sie zu wärmen. »Nichts lieber als das«, entgegnete er.
Sie kuschelten sich eine Weile aneinander, woraufhin Cassy bald aufhörte zu zittern. Sie hatte ihr Gesicht an Beaus Hals vergraben und hob den Kopf, um ihm in die Augen zu sehen, doch er starrte gedankenverloren in die Dunkelheit. »Danke, daß du mich aus dem Bett geholt hast, um mir den Meteoritenregen zu zeigen«, sagte sie. »Zuerst dachte ich, du wolltest mich auf den Arm nehmen. Aber sag mal - woher wußtest du eigentlich, daß sich dieses Schauspiel ereignen würde?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Beau. »Wahrscheinlich habe ich irgendwo davon gehört.«
»Hast du in der Zeitung darüber gelesen?« fragte sie. »Ich glaube nicht«, antwortete Beau und kratzte sich am Kopf. »Ich kann mich wirklich nicht erinnern.« Cassy zuckte mit den Achseln. »Ist ja auch egal. Hauptsache, wir haben es gesehen. Wovon bist du denn wach geworden?«
»Das weiß ich auch nicht«, erwiderte Beau. Cassy drehte sich um, knipste die Nachtischlampe an und musterte Beaus Gesicht. Grinsend hielt er ihrem forschenden Blick stand.
»Geht es dir wirklich gut?« fragte sie. »Ja, sicher«, erwiderte er und strahlte. »Ich fühle mich super.«
Kapitel 6
6.45 Uhr
E s war einer von diesen wolkenlosen, vollkommen klaren Morgen, an denen die Luft so frisch war, daß man sie beinahe schmecken konnte. Selbst die weit entfernten Berge waren verblüffend deutlich zu erkennen. Über dem normalerweise eher trockenen Boden waberte kühler Morgentau, der funkelte, als ob jemand Tausende von Diamanten ausgestreut hätte. Beau stand eine Weile da und betrachtete die Szene. Es kam ihm vor, als genösse er diesen Ausblick zum ersten Mal. Er konnte kaum glauben, in wie vielen Farben die Berge schillerten und fragte sich, warum ihm diese Schönheit nicht schon früher aufgefallen war.
Er trug ein legeres Oxford-Hemd, Jeans und Halbschuhe, aber keine Socken. Er räusperte sich. Der Husten war verschwunden, und auch der Hals tat ihm beim Schlucken nicht mehr weh.
Er verließ das Apartmenthaus, schlenderte den Bürgersteig entlang und ging die Auffahrt hinauf bis zum Parkplatz. Dort steuerte er den hinteren Bereich an und entdeckte am äußersten Rand, hinter der asphaltierten Fläche, im Sand, wonach er gesucht hatte: drei schwarze Miniskulpturen, die genauso aussahen wie diejenigen, die er am Morgen zuvor auf dem Parkplatz von Costas Diner gefunden hatte. Er hob sie auf, wischte den Staub ab und ließ jede in eine seiner diversen Hosentaschen gleiten.
Als er seine Aufgabe erledigt hatte, drehte er sich um und ging den selben Weg zurück.
Im Schlafzimmer klingelte der Wecker und schreckte Cassy aus dem Schlaf. Der Wecker stand auf ihrer Seite, denn Beau hatte die schlechte Angewohnheit, ihn immer so schnell auszustellen, daß keiner von ihnen wirklich wach wurde. Cassys Hand kam unter der Bettdecke hervor und drückte automatisch die Schlummertaste. Der Wecker
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