Grünes Gift
Hilfeschreie gehört hatte.
»In die Traumasektion«, ordnete sie an. Ohne auf eine Rollbahre zu warten, schleppte Pitt die zuckende Frau auf die Station. Unterstützt von Sheila, die auf der anderen Seite des Untersuchungstisches stand, setzte er die Patientin ab. Zum zweiten Mal an diesem Tag stand er der Leiterin der Station direkt gegenüber. Sie sagte zwar nichts, doch ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, daß sie diesmal alles andere als unzufrieden mit ihm war.
Pitt trat zurück, um den Krankenschwestern und Ärzten Platz zu machen. Während er dastand und zuschaute, war er unglücklich, daß er noch nicht wirklich mit anpacken und helfen konnte.
Unter der Leitung von Sheila schaffte das Rettungsteam es schnell, die Frau von ihrer Qual zu erlösen. Doch als die Experten sich gerade beraten wollten, was wohl zu dem Anfall geführt haben mochte, wurde die Patientin von einem neuen, noch heftigeren Anfall geschüttelt.
»Was hat sie bloß?« jammerte der Ehemann. Keiner hatte bemerkt, daß er ihnen gefolgt war. Eine Schwester ging zu ihm und bat ihn, draußen zu warten.
»Sie ist Diabetikerin, aber so einen Anfall hatte sie noch nie. Da stimmt doch was nicht! Sie hatte bloß einen Husten, außerdem ist sie doch noch eine junge Frau. Hier läuft was schief, das merke ich doch!« Ein paar Minuten nachdem der Mann in den Warteraum geschickt worden war, hob Sheila ruckartig den Kopf. Sie starrte auf den Herzmonitor. Der Klang der Herztöne hatte sich plötzlich verändert und ihre Aufmerksamkeit erregt.
»Oh je«, stöhnte sie. »Das gefällt mir überhaupt nicht.« Der Herzschlag war unregelmäßig geworden. Bevor jemand reagieren konnte, schrillte das Alarmsignal des Monitors. Die Patientin litt unter heftigem Herzflimmern.
»Alarmstufe rot in der Notaufnahme!« dröhnte es aus der Haussprechanlage. Weitere, durch das Notsignal für drohenden Herzstillstand benachrichtigte Ärzte eilten in den Untersuchungsraum. Pitt zog sich noch weiter zurück, um nicht im Weg zu stehen. Er empfand die Situation als fesselnd und furchterregend zugleich.
Das Team gab sich alle erdenkliche Mühe, doch es nützte nichts. Schließlich richtete Sheila sich auf und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn.
»Okay«, sagte sie zögernd. »Hören wir auf. Wir haben sie verloren.« Während der letzten dreißig Minuten hatte der Monitor durchgängig eine gleichförmige, gerade Linie aufgezeichnet. Die Mitarbeiter des Teams ließen frustriert die Köpfe hängen.
Die alte Federwaage quietschte, als Dr. Curtis Lapree die Leber von Charlie Arnold in die Schale gleiten ließ. Die Nadel schnellte nach oben.
»Das Gewicht ist normal«, stellte Curtis fest. »Hatten Sie erwartet, daß es nicht normal sein würde?« fragte Jesse Kemper. Zusammen mit Detective Vince Garbon hatte er sich im gerichtsmedizinischen Institut eingefunden, um der Obduktion beizuwohnen. Sie trugen beide wegwerfbare Schutzanzüge.
Weder Jesse noch Vince waren vom Zusehen geschockt oder angeekelt. Sie hatten im Laufe der Jahre schon Hunderte von Autopsien miterlebt, insbesondere Jesse, der elf Jahre älter war als sein Kollege.
»Nein«, erwiderte Curtis. »Die Leber sah normal aus und fühlte sich auch normal an; deshalb habe ich vermutet, daß auch das Gewicht im Normbereich liegen würde.«
»Haben Sie irgendeinen Schimmer, was den armen Kerl getötet hat?« fragte Jesse.
»Nein«, erwiderte Curtis. »Sieht ganz danach aus, als hätten wir es mit einem weiteren dieser geheimnisvollen, ungeklärten Todesfälle zu tun.«
»Bitte sagen Sie nicht so etwas«, entgegnete Jesse ein wenig bockig. »Ich habe fest darauf vertraut, daß Sie mir sagen können, ob wir es mit einem Mord- oder mit einem Unfallopfer zu tun haben.«
»Beruhigen Sie sich, Lieutenant«, sagte Curtis und lachte. »Ich nehme Sie doch nur auf den Arm. Sie sollten eigentlich inzwischen wissen, daß es bei einer Obduktion erst nach der Sektion der Organe so richtig losgeht. In diesem Fall gehe ich allerdings davon aus, daß die mikroskopischen Untersuchungen aufschlußreicher sein dürften. Das ist natürlich alles nur sehr allgemein gesprochen. Ich habe zum Beispiel keine Ahnung, wieso der Mann dieses Loch in der Hand hat. Sehen Sie sich das mal an!«
Er hob Charlie Arnolds Hand hoch. »Das verdammte Loch ist absolut rund.«
»Könnte es von einer Schußverletzung herrühren?« fragte Jesse.
»Die Frage können Sie sich wohl selbst beantworten«, erwiderte Curtis. »Bei all
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