Gruenkohl und Curry
Aber meine Mutter durfte davon nichts wissen. Mein Vater hatte nichts dagegen, wenn wir Jhammi und Wajid besuchten. Er traf sie ja selbst regelmäßig.«
Für meinen Vater waren diese Ausflüge eine willkommene Abwechslung im Alltag, auch wenn er mit seinem Bruder Wajid aufgrund des Altersunterschieds kaum etwas anfangen konnte.
Irgendwann im Sommer 1947 lagen auch vor dem Afzal Mahal ausgehungerte Menschen auf der Straße und Geier warteten nur darauf, dass sie zu Kadavern, zu Nahrung wurden. Nachrichten von Massakern zwischen Muslimen und Hindus in allen Teilen des Landes machten die Runde. Geeint war die Bevölkerung nur in ihrer Forderung, dass die Briten endlich abziehen sollten.
In Lucknow waren die britischen Offiziere besonders nervös: Seit dem Sepoy-Aufstand 1857 galt ihnen die Stadt als Hochburg der indischen Unabhängigkeitsbewegung.
Viele Nachbarn hatten ihre Häuser schon verlassen, waren aufgebrochen in Richtung Westen. Zu Fuß und mit Zügen, die bis zur Grenze nach Pakistan fuhren, hatten sie sich auf den Weg gemacht. Manche hatten auch eines der Schiffe genommen, die von Bombay nach Karatschi fuhren. Es war eine unglaublich anstrengende Reise, voller Angst vor Überfällen. Die Augustsonne brannte unerbittlich und in diesem Sommer 1947 begann der Monsunregen besonders spät: erst im September. Man hörte, dass einige der Nachbarn während ihrer Flucht ums Leben gekommen waren, sie hatten einen Hitzschlag erlitten, hatten zu wenig getrunken oder waren vor Schwäche zusammengebrochen. Keine Nachrichten, die Mut machten.
Afsar Begum hatte sich in den Jahren zuvor mit ihren fünf Kindern in ihrem Geburtshaus komfortabel eingerichtet. Ihre Verwandten kümmerten sich mit um die Kinder, es gab genug Angestellte, die die Hausarbeit erledigten. Bei der Familie ihres Mannes ein paar Straßen weiter schaute sie gelegentlich vorbei, wohnen wollte sie dort nicht. Sie widersetzte sich damit der Regel, dass die Ehefrau bei der Familie ihres Mannes lebt, und redete sich damit heraus, dass im Afzal Mahal viel mehr Platz für die Kinder sei.
Im Afzal Mahal hatten die Frauen das Sagen – allen voran Afsar Begum. Männliche Bedienstete waren nicht erlaubt, und wenn einmal in der Woche der Gärtner kam, um die Pflanzen zu gießen und Unkraut zu beseitigen, musste er sich in ein Tuch hüllen – er war es, der einen Schleier tragen musste, nicht die Frauen.
Purdah
, die Bedeckung des weiblichen Körpers nach islamischen Vorschriften, wurde ansonsten in Lucknow natürlich eingehalten. Wenn ein Arzt ins Afzal Mahal zu einer Patientin kam, fühlte er den Puls hinter einem Vorhang stehend, der das Bett der Kranken umgab.
Kazim Ali Khan hatte inzwischen einen gut bezahlten Posten bei der Stadtverwaltung von Madras, Hunderte von Kilometern von Lucknow entfernt. Alle paar Wochen nahm er die mehrtägige Zugreise auf sich und besuchte Frau und Kinder im Norden Indiens. »Ganz selten fuhren wir zu ihm nach Madras. Das genossen wir dann sehr: Wir lebten dort in seinem riesigen Haus, das ihm die Stadt zur Verfügung stellte, hatten Elefanten, Pferde und viele Bedienstete«, erzählte meine Tante Zahra. »Er hatte sein Erbe als Raja zwar nie angetreten, aber er lebte dennoch wie einer.«
Seit einigen Monaten berichtete mein Großvater bei den Treffen mit seiner Familie häufiger von einem islamischen Staat, der bald entstehen sollte. Lord Louis Mountbatten, der letzte britische Vizekönig in Indien, der von der Regierung in London beauftragt worden war, die Entlassung Indiens in die Unabhängigkeit abzuwickeln, hatte es angesichts der zunehmenden Gewalt eilig, den Union Jack in Indien für immer einzuholen. Sollte Mohammed Ali Jinnah doch seinen eigenen Staat bekommen, Heimat für eine islamische Nation!
»Pakistan« sollte dieser Staat heißen, wie es der in London studierende muslimische Nationalist Rahmat Ali 1933 in einem Pamphlet vorgeschlagen hatte, »Land der Reinen«, bestehend aus den Provinzen Belutschistan, der Nordwest-Grenzprovinz, dem Punjab, Sindh und einer geografisch abgetrennten Provinz Ostbengalen – die später, 1971, mit militärischer Unterstützung Indiens, zu Bangladesch werden sollte. Das waren die Provinzen auf dem Subkontinent, in denen mehrheitlich Muslime lebten. Das galt zwar auch für die Provinz Kaschmir, aber deren Hindu-Maharaja Hari Singh verfolgte eigene Ziele: Er forderte einen unabhängigen Staat Kaschmir.
Als nach der Teilung des Subkontinents pakistanische Truppen die Region
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