Gruenkohl und Curry
einnahmen, rief Singh Indien zu Hilfe. Im Gegenzug unterzeichnete er auf Drängen von Lord Mountbatten den Beitritt Kaschmirs zu Indien – was wiederum das kaschmirische Volk nicht wollte: wenn schon keine Unabhängigkeit, dann doch lieber Zugehörigkeit zum islamischen Pakistan.
Für Mountbatten galt es, Südasien so zügig wie möglich zu verlassen – dies war ihm von der britischen Regierung aufgetragen worden. In der Heimat gab es genug Probleme: Großbritannien hatte zwar zwei Jahre zuvor den Zweiten Weltkrieg gewonnen, aber große Teile des Landes waren zerstört worden, die Wirtschaft lag am Boden. Da konnte auf die Interessen einer Provinz wie Kaschmir keine Rücksicht genommen werden.
Zunehmend versank nun auch der Subkontinent im Chaos: Allein bei einem Massaker in Kalkutta töteten Muslime im Juli 1946 innerhalb von zweiundsiebzig Stunden 26.000 Hindus. Aus allen Teilen Indiens wurden Kämpfe zwischen Hindus und Muslimen gemeldet. Die Macht der Briten bröckelte – als Besatzungsmacht ebenso wie als Weltmacht.
»Mit ihrer Kaschmir-Entscheidung legten die Briten den Keim für den Streit zwischen Pakistan und Indien, und dieser Konflikt wird nie gelöst werden«, sagte mir eine Tante, die wie die meisten Pakistaner den Briten die Schuld an dem Konflikt gibt.
Eine andere Tante erklärte mir: »Die Entstehung Pakistans war ein Zufall: Jinnah, der einzige Mann, der in der Lage war, einen unabhängigen islamischen Staat Pakistan durchzusetzen, litt an Tuberkulose. In der Öffentlichkeit war das aber unbekannt, selbst die Briten wussten nichts davon. Sonst hätten sie seinem Drängen nach einem islamischen Staat wahrscheinlich nicht nachgegeben, obwohl Jinnah ein liberaler Mann war. Ohne die Teilung hätten die Briten sich eine Menge Ärger erspart. Nur ein Jahr nach der Gründung Pakistans erlag Jinnah seiner Krankheit.« Jinnah hat Pakistan also gegründet, das Land aber nur kurz regiert. Trotzdem nennen ihn die Pakistaner bis heute
Quaid-e-Azam
, den »großen Führer«.
Mein Großvater Kazim Ali Khan war ein glühender Verehrer Jinnahs und fasziniert von der Idee eines moderat islamischen Staats, in dem die Muslime die Bevölkerungsmehrheit stellten. Wahrscheinlich war er wie Millionen Muslime einfach begeistert von der Rhetorik Jinnahs.
Jinnah hatte sich am 15. August 1947, einen Tag nach der Gründung Pakistans, per Radio an die Muslime auf dem Subkontinent gewandt: »Die Schaffung des neuen Staates bedeutet für die Bürger Pakistans eine enorme Verantwortung. Sie haben die Möglichkeit, der Welt zu zeigen, wie eine an Vielfalt reiche Nation wie Pakistan in Frieden und Freundschaft lebt und zum Wohle aller arbeitet, egal welcher Kaste, egal welchem Glauben sie angehören. Unser Ziel sollte Frieden im Inneren und Frieden nach außen sein.«
Solche Worte hatten Wirkung bei Leuten wie meinem Großvater, die die zahlreichen Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen, zu denen es regelmäßig kam, leid waren.
Gegenüber Afsar Begum sprach er in immer kürzeren Abständen davon, ein neues Leben in dem neuen Land zu beginnen. Afsar Begum weigerte sich. Wozu alles zurücklassen, das schöne Haus, das bequeme Leben, die Freunde, warum bei null anfangen?
Doch mein Großvater drängte. Er sah für sich und seine Familie eine bessere Zukunft in Pakistan. In Indien wurden Forderungen nach Enteignung von Landbesitzern immer lauter – und mein Großvater besaß viel Land. Tatsächlich machte der
Zamindari Abolition Act
viele Großgrundbesitzer in Indien Anfang der Fünfzigerjahre zu armen Leuten, brach aber zugleich alte feudale Strukturen auf.
Meinen Großvater reizte der Gedanke, einen Staat mit aufzubauen. Mittlerweile hatten sich viele seiner Freunde und Kollegen dafür entschieden, ihr Hab und Gut zu verkaufen und nach Pakistan auszuwandern. Eines Tages schrieb er meiner Großmutter aus Madras, er habe ein Angebot von der pakistanischen Regierung erhalten: Die Stadtverwaltung der Hauptstadt Karatschi suche Beamte. Er wolle sich in Bombay um Tickets für eine Schiffsreise nach Karatschi kümmern, sie solle die Sachen packen und sich mit den Kindern bereithalten.
Meine Großmutter gab ihren Widerstand auf.
Im Herbst 1947 kam mein Großvater nach Lucknow, um seine Familie abzuholen – er hatte Tickets nach Pakistan ergattert. Ein paar Tage später verließ er mit seiner Familie das Afzal Mahal, das älteste Kind siebzehn Jahre alt, das kleinste, mein Vater, kaum sechs Jahre. Die Halbgeschwister
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