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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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es einen Tag später, als die »Dwarka« im Hafen von Karatschi angelegt hatte, verschwunden. Das neue Leben von Kazim Ali Khan und seiner Familie begann mit dem, was sie am Körper trugen.
    Eine meiner Tanten weiß noch genau: Als Afsar Begum das erste Mal in ihrem Leben pakistanischen Boden betrat, weinte sie.

Pakistan – neuer Staat, neue Heimat, neues Selbstbewusstsein

    Als meine Mutter 1951 in Karatschi geboren wurde, steckte Pakistan selbst noch in den Kinderschuhen. Ihre Eltern, Manzoor Ali Naqvi und seine Frau Qamar Jehan, hatten 1946 einen weitaus günstigeren Start in Karatschi als die Familie meines Vaters. Sie waren wie viele Muslime schon vor der Teilung des indischen Subkontinents dorthin gezogen, damals war die Stadt noch eine indische Hafenmetropole. Meinem Großvater, einem Bauingenieur, hatte man einen Job angeboten: Es wurden Leute gesucht, die Karatschi modernisierten – und sollte tatsächlich ein Staat Pakistan entstehen, wovon die Rede war, sollte das die Hauptstadt werden. Meine Großeltern, die zuvor in Delhi gelebt hatten, zogen mit ihren drei Kindern um. Da sie diese Entscheidung wohlüberlegt trafen, ohne zeitlichen Druck oder Angst vor Gewalt, konnten sie ihren Besitz in Ruhe zusammenpacken und nach Karatschi verschiffen lassen.
    Manzoor Ali Naqvi entstammte ärmlichen Verhältnissen. Er war in Shikarpur im Norden Indiens als Sohn von schiitischen Eltern geboren worden. Sein Vater starb im Alter von vierunddreißig Jahren, als die Pest nach Shikarpur kam. Seine Mutter, die weder lesen noch schreiben konnte, musste ihn und zwei jüngere Söhne alleine durchbringen. Der mittlere fiel äußerlich besonders auf: Als Albino stach er mit seiner rosafarbenen Haut, dem weißen Haar und den rötlichen Augen unter all den braunen Menschen hervor. Mein Großvater hatte zwar auch eine relativ helle Haut, war aber kein Albino. Allerdings trug er, wie sich später herausstellen sollte, die Veranlagung dafür in sich: Vier seiner zwölf Kinder sollten Albinos werden.
    Manzoor Ali Naqvi fiel durch seine Begeisterung fürs Lesen auf, die kleine Bibliothek seiner Schule versorgte ihn mit Büchern. Da es in dem Haus seiner Kindheit noch keinen Stromanschluss gab, las er bei Kerzenlicht. »Du musst ihn unbedingt auf eine bessere Schule schicken«, rieten die Verwandten seiner Mutter. Doch die wusste nicht, wie sie ihre Kinder ernähren, geschweige denn in teure Schulen schicken sollte. Ihr war bewusst, dass es ihr Sohn mit einer guten Ausbildung einmal besser haben würde als sie selbst, aber wer außer den miserablen staatlichen Schulen würde ihr Kind schon ohne Bezahlung unterrichten? Die Verwandtschaft sprang ein. Sie kratzte so viel Geld zusammen wie möglich und finanzierte ihm eine Ausbildung an einem Internat in Delhi, in der Hoffnung, dass er später einmal für die ganze Familie sorgen würde. So sollte es auch kommen. Es war die typische Art der Altersvorsorge in einem Land, in dem es keine staatliche Rente gibt.
    Manzoor Ali Naqvi lernte für sein Leben gern. Er begeisterte sich für Geschichte, Politik und Architektur und entwickelte eine tiefe Religiosität. Der intelligente Junge fiel auch den schiitischen Geistlichen seiner Gemeinde auf, sie organisierten diverse Stipendien für ihn. Das wiederum vertiefte seine dankbare Haltung gegenüber Gott und er beschloss, später einmal selbst talentierte junge Menschen finanziell zu unterstützen. Ich habe meinen Großvater als eine gebildete, stolze, aber auch sehr demütige, bescheidene Persönlichkeit in Erinnerung.
    Am Roorkee College in Delhi studierten fast ausschließlich reiche Söhne von Briten, außer ihm waren im Studiengang Bauingenieurwesen noch fünf Inder eingeschrieben, allesamt Hindus. Mein Großvater war also der einzige Muslim seines Jahrgangs, und da es für einen Muslim in jener Zeit undenkbar war, gemeinsam mit einem Hindu oder einem Christen zu essen, musste er sich etwas einfallen lassen – ein Essen in der Mensa kam nicht infrage. Glücklicherweise lebte eine befreundete schiitische Familie in der Nähe, die ihn täglich bewirtete. Jahrzehnte später erzählte mein Großvater, wie dankbar er dieser Familie für ihre Gastfreundschaft war – auch wenn das Essen furchtbar geschmeckt habe: »Im Curry schwammen nur Knochen herum«, erinnerte er sich.
    Mein Großvater heiratete die vierzehn Jahre jüngere bildhübsche Qamar Jehan Rizvi, die aus wohlhabenderen Verhältnissen stammte als er und die in der Himalaja-Stadt Shimla

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