Gruenkohl und Curry
ein größeres Haus reichten die Rücklagen bei Weitem nicht, es fehlte an allem und Kredite gab es in dieser schwierigen Zeit nicht. Kazim Ali Khan nahm seine Arbeit in der Stadtverwaltung auf, er legte jede Rupie, die er erübrigen konnte, zur Seite.
Sechs lange Jahre verbrachte die Familie in den »Pakistan Quarters«: Wenn sie schon umziehen sollten in ein eigenes Haus, wollte Kazim Ali Khan, der stolze Nachfahre eines Rajas, etwas Repräsentatives. »In unserer Wohnung wurde es enger und enger, denn wann immer ein Verwandter oder Freund aus Indien nach Pakistan kam, nahmen wir ihn erst einmal für ein paar Tage auf«, erzählt mein Vater.
Nach und nach kamen auch einige Hausangestellte der Familie nach Pakistan, zum Beispiel der Koch Rafiq, der später ein
Hijra
, ein Transvestit, wurde und in die Unterwelt abtauchte, und andere. Sie hatten sich entschieden, gemeinsam mit der Familie von Kazim Ali Khan einen Neustart zu wagen. In Karatschi fragten sie sich zu der Familie durch: Wo lebt Kazim Ali Khan, ein Mann mit einer Frau und fünf Kindern? Zeitweise schliefen bis zu fünfzehn Menschen in den zwei Zimmern.
Mein Großvater entwarf eine Residenz, wie er sie sich vorstellte. Groß und weiß verputzt sollte sie sein, mit vier Türmchen. 1952 hatte er das Geld endlich beisammen.
Chattar Manzil
sollte das Gebäude heißen, damit seine Frau nach all den Jahren im Afzal Mahal wieder ein Haus mit einem Namen hatte. Chattar kommt von Chattri, Schirm, und Manzil bedeutet Haus. Die Dächer der vier Türmchen sahen aus wie Schirme. Ein Jahr später konnte die Familie einziehen, und jetzt erst wurde für Afsar Begum die Erinnerung an Lucknow etwas erträglicher.
Kazim Ali Khan begann wieder ein Leben wie ein Provinzfürst: Er traf sich häufig mit Freunden, organisierte Feste, setzte Geld auf Hahnenkämpfe und auf Drachenwettkämpfe, spielte Rummy und Poker. Er genoss das Leben, genoss, was er sich und seiner Familie aufgebaut hatte. »Leider gab er mehr Geld aus, als er besaß«, sagte ein Onkel. Geld war daher immer knapp.
Im Chattar Manzil wurde mein Vater groß. »Ich hatte mein eigenes großes Zimmer. An die Tür habe ich ein Schild genagelt, Gorillahütte stand darauf.« Seine Freunde aus der Nachbarschaft kamen regelmäßig zu Besuch. Sie nannten sich Gorillas, entdeckten den Tabakgenuss und entwarfen gemeinsam allerlei Pläne. Wer mitmachen wollte, musste sich erst einmal ihren Respekt verdienen und in den Rang eines verbündeten Gorillas aufsteigen.
Einmal machten sie sich Gedanken darüber, welche Wirkung wohl Schlaftabletten auf Hühner hätten. »Wir mischten heimlich zerkrümelte Tabletten unter das Futter der Hühner unserer Nachbarn«, erzählt mein Vater. Anstifter dieses Plans war der älteste Bruder meines Vaters, Mustafa. Die Vögel fielen in einen tiefen Schlaf – und wachten nie wieder auf. Das Rätsel des massenhaften Hühnertods blieb für die Nachbarn zwar auf ewig ungelöst, aber das nachbarschaftliche Verhältnis war fortan von Misstrauen geprägt.
Oder mein Vater und seine Freunde ließen sich mit einer Fahrradrikscha in verwinkelte Stadtteile fahren, um dann – ohne zu bezahlen – abzuspringen und zu Fuß dem schimpfenden Fahrer in den Gassen zu entkommen. »Wir durften dem Fahrer nur nicht wieder begegnen, sonst hätte es mächtig Ärger gegeben.«
An Tagen, an denen ihnen kein Unsinn einfiel, saß mein Vater zusammen mit seinem Bruder Ali stundenlang mit einem Block auf dem Schoß vor dem Haus und notierte Marke, Modell und Nummernschild der wenigen vorbeifahrenden Autos. Die Schreiberei hatte kein Ziel außer Zeit zu vertreiben. Über die Wochen füllten sie so viele dicke Bücher.
Später, als mein Vater etwas älter war und ein verantwortungsvolles Hobby suchte, entdeckte er die Zucht von Wellensittichen für sich. Er setzte zwei Pärchen in einen selbst gebauten mannshohen Käfig, stellte zwei tönerne Brutkästen hinein und wartete. Ein paar Jahre später lebten in dem Verschlag Hunderte Wellensittiche.
Karatschi war damals noch kein Stadt gewordenes Chaos. Als die ersten Vertriebenen und Einwanderer aus Indien dorthin kamen, zählte der Ort etwa dreihunderttausend Einwohner. Heute sollen es mehr als fünfzehn Millionen sein, aber so genau weiß das niemand.
In dieser Zeit besuchte mein Vater, ein dürrer Junge mit auf der Seite gescheiteltem, geöltem Haar, diverse urdu-sprachige Schulen, an denen Englisch als Fremdsprache unterrichtet wurde. Im Herbst 1959 machte er
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