Gruenkohl und Curry
entsprechend gut ging es der Schifffahrt.
»Kadetten gesucht«
überschrieb die Hansa deshalb eine Annonce im Januar 1962 in der renommierten pakistanischen Tageszeitung ›Dawn‹. »Das wäre doch etwas für Hasan«, meinte Kazim Ali Khan zu seiner Frau Afsar Begum. Die anderen Kinder hatten den Schritt in die Berufstätigkeit bereits getan, Zahra studierte Medizin, Mustafa arbeitete als Geschäftsmann, Ali machte seine Pilotenausbildung bei der Luftwaffe und Safia studierte Soziologie, anschließend Jura, um später als Journalistin zu arbeiten. Hasan hatte die Schule schon vor zwei Jahren beendet, er war jetzt zwanzig Jahre alt und sollte sich nach Ansicht seiner Eltern endlich für einen Beruf oder für ein Studium entscheiden.
Afsar Begum nahm die Zeitung und las sich die Stellenanzeige durch. Sie überlegte. »Aber dann muss er weg, nach Deutschland.«
Ihr Mann schaute sie an. »So ist das nun einmal im Leben: Wer etwas erreichen will, zahlt einen Preis dafür.«
Kazim Ali Khan gab die Zeitung seinem Sohn. »Schau mal, das wäre sicher ein guter Job für dich. Was meinst du?« Mein Vater blieb die Antwort erst einmal schuldig, er wollte sich das gut überlegen. Aber tief in sich wusste er: Das war der Beruf, den er wollte. Auf diese Weise würde er wie sein Bruder, der Pilot, die Welt sehen, würde aber seinen eigenen Weg gehen.
Ein paar Tage später trafen sie einen Freund der Familie, der für die Hafenbehörde von Karatschi arbeitete. »Kennst du die Hansa-Reederei?«, fragte ihn mein Großvater. »Was hältst du überhaupt von deutschen Firmen?« Der Freund, ein Beamter, hatte bisher nur gute Erfahrungen mit deutschen Reedereien gemacht: Sie waren hervorragend organisiert, zahlten pünktlich die Hafengebühren und verhandelten nicht lange, wenn mal etwas mehr Geld als üblich verlangt wurde. Er setzte für meinen Vater ein Empfehlungsschreiben auf. Mein Vater schrieb eine Bewerbung, legte eine Kopie des Abschlusszeugnisses und die Empfehlung bei und schickte alles nach Bremen. Einen Versuch war es wert, wahrscheinlich klappte es sowieso nicht, denn er hatte keinerlei seemännische Erfahrung und wusste zudem nichts über Deutschland.
Ein paar Wochen später brachte der Briefträger die Antwort: Man freue sich über das Interesse. In wenigen Tagen, im März 1962, werde das Ausbildungsschiff der Reederei, die »Goldenfels«, in Karatschi festmachen. Dort möge er sich bitte beim Kapitän melden und anheuern. Alle nötigen Papiere und Informationen zur Ausbildung werde er an Bord erhalten.
Bis heute bewundere ich die Entschlossenheit meines Vaters. Wenn ich irgendwohin für zwei Wochen verreise, kaufe ich nicht nur einen Reiseführer, sondern alle, die ich in den Buchläden dazu finde. Ich lese alles, was ich an Artikeln über das Reiseziel bekomme. Wahrscheinlich ist das eine Berufskrankheit. Und mein Vater entschied sich von heute auf morgen für einen Beruf, ohne zu wissen, worauf er sich einließ. Er entschied sich, für eine deutsche Firma zu arbeiten, ohne zu wissen, was ihn da erwartete. Ich glaube, das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen deutscher und südasiatischer Mentalität: In Südasien ist das Vertrauen in die Zukunft einfach größer, egal, ob es um die Berufswahl geht oder darum, eine Reise zu planen. Ist es Leichtsinn? Ich bin überzeugt, es ist der Glaube an die Güte des Lebens. Bis heute treffen meine Eltern viele Entscheidungen viel sorgloser als ich.
Die »Goldenfels« war nach der »Dwarka« das zweite Schiff, das mein Vater in seinem Leben betrat – nun als Kadett. Die ganze Familie begleitete ihn an einem Nachmittag zum Hafen von Karatschi. Sie brachten ihn an Bord, wünschten ihm viel Glück und Gesundheit. Afsar Begum vergoss Tränen, wann würde sie ihren Sohn wiedersehen? Dann verabschiedeten sie sich, mein Vater musste sich schlafen legen, denn um zwei Uhr morgens sollte die »Goldenfels« Richtung Indien in See stechen.
Fünfundvierzig Mark Heuer pro Monat sollte er bekommen, außerdem fünfzig Pfennig pro Überstunde. »Die Kadetten, die schon an Bord waren, erklärten mir, bei dem kargen Gehalt müsse man so viele Überstunden wie möglich machen.« An Bord waren neben dem Kapitän und drei Offizieren, allesamt Deutsche, sechs deutsche Kadetten, zwei aus Burma, sechs Iraner, vier Iraker und ein Inder, außerdem mein Vater als einziger Pakistaner. »Ich kam mit allen gut aus«, erinnert er sich. Am meisten verband ihn mit dem Inder, sein Name war Singh Dev. Sie
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