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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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Karatschi gewannen zunehmend Kundschaft.
    Als eines Tages eine Freundin nach London umzog, lernte meine Mutter das Gefühl des Neids kennen. »Ich wollte unbedingt auch nach England, doch mein Vater wollte nichts davon wissen. Er hielt mich für verrückt.«
    In der Schule kam meine Mutter ganz ordentlich mit. Hin und wieder kassierte sie Schläge von den Nonnen, eine Ohrfeige oder einen Schlag mit dem Lineal auf die Finger, damals übliche Erziehungsmittel. »Unseren Eltern haben wir nie davon erzählt, ansonsten hätten wir zu Hause noch einmal Prügel bekommen.« Mein Großvater vertraute eben auch in dieser Hinsicht den Erziehungskünsten der Nonnen.
    Kürzlich kramte meine Mutter ihre Zeugnisse aus einem alten Koffer hervor, den sie über all die Zeit sorgfältig aufbewahrt hat und an dem die Jahre und die vielen Umzüge ihre Spuren hinterlassen haben. Die Zeugnisse – kleine Heftchen aus inzwischen vergilbtem Papier mit aufgedrucktem Schulwappen, einem Segelschiff, und dem Schriftzug »Ad caritatem per veritatem« – beinhalten in der ersten Klasse farbige Sternchen als Beurteilung: Blau bedeutete »exzellent«, rot »sehr gut«, grün »gut«, braun »ausreichend« und schwarz »ungenügend«. In ihrem Heft stehen vor allem rote und grüne Sterne, nur der hinter »Arithmetik« ist braun. An der Highschool wurden dann Noten in Prozent vergeben: Hundert Prozent war eine Eins, allerdings so gut wie nie zu erreichen. Wenn man in einem Fach neunzig Prozent erhielt, zählte man schon zur Spitze. Meine Mutter gehörte immer zu den Besten ihrer Klasse.
    Zur Belohnung für ihre guten Leistungen wurde ihr Ende der Fünfzigerjahre eine ganz besondere Aufgabe zuteil: Als sich die noch junge Königin Elizabeth II. aus England für einen Besuch in Pakistan ankündigte, wurde meine Mutter für ein Begrüßungskomitee ausgewählt. Sie durfte ein pakistanisches Fähnchen halten und der Königin damit winken. »Sie fuhr in einem offenen Auto an unserer Schule vorbei, mit ihr im Wagen saß General Ayub Khan, der pakistanische Präsident.« Das ganze Spektakel dauerte nur ein paar Minuten. Immerhin blieb es meiner Mutter in Erinnerung.
    Im Anschluss an die Klosterschule besuchte meine Mutter vier Jahre lang das College für Hauswirtschaft an der
University of Karachi
, machte dort ihren Bachelor und unterrichtete später Grundschüler im Fach Englisch.
    Die Erzählungen ihrer Freundinnen über Reisen in westliche Länder, die Spielfilme aus Hollywood und die Musik von Elvis und den Beatles ließen den Westen in den Augen meiner Mutter als das Gelobte Land erscheinen. In dieser Zeit wuchs ein unbändiger Wunsch in ihr heran: Irgendwann, nahm sie sich vor, würde sie weggehen, nach Amerika oder nach England, wo die Mädchen sich so modern kleideten und auf Partys gingen, wo es so sein musste wie in all den amerikanischen Filmen, die im Kino gezeigt wurden und die sie auch im Fernsehen sah, denn seit 1964 thronte ein großes Schwarz-Weiß-Gerät im Wohnzimmer der Familie. Die gesamte Großfamilie fand auf den zwei Ecksofas Platz und konnte in die Welt blicken.
    Und plötzlich fiel ihr die Lösung ein: Sie musste Stewardess werden, und schon stand ihr die Welt offen. Nicht die Arbeit während des Fluges hatte sie im Kopf, sondern die Zeit zwischen den Flügen: Bummeln in New York, Shoppen in London, vielleicht auch in Paris und in Bagdad. Heimlich bewarb sie sich bei drei Fluglinien – schließlich wusste sie, dass ihr Vater mit dieser Berufswahl nicht einverstanden sein würde. Sie schrieb an Air France, an Alia Jordanian Airlines, die damals noch den Namen der jordanischen Königstochter in der Firmenbezeichnung trug und später zur Royal Jordanian Airlines wurde, und an die British Overseas Airways Corporation (BOAC), die Vorgängerin von British Airways. Alle drei luden sie zum Vorstellungsgespräch in Karatschi ein. Bei der BOAC sagte man ihr nach der ersten Vorstellungsrunde, sie solle zu einem weiteren Gesprächstermin kommen, möglicherweise müsse sie sich auch in London vorstellen. Bei Air France erklärte man ihr, dass Personal für den Schalter am Flughafen von Karatschi gesucht werde; um Stewardess zu werden, müsse sie fließend Französisch sprechen – meine Mutter sprach kein Wort dieser Sprache. Den dritten Termin hatte sie bei der jordanischen Fluggesellschaft, in einem Hotel. »Dort wollte man überhaupt nicht mit mir reden, sondern mich und die anderen Bewerberinnen nur anschauen. Ich sollte meine langen Haare

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