Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
Vom Netzwerk:
seinen Abschluss.
    Das große Vorbild für meinen Vater war sein Bruder Ali: Der begann zunächst eine Offizierslaufbahn bei der pakistanischen Luftwaffe und ließ sich zum Kampfpiloten ausbilden, später flog er als Airbus-Pilot für die pakistanische Fluggesellschaft Pakistan International Airlines.
    Mein Vater wollte auch so einen angesehenen Beruf, wollte Uniform tragen und die Welt erobern. Aber er wollte seinem Bruder nichts nachmachen, sondern eigene Wege gehen.
    Mitte der Fünfzigerjahre, als Vierzehnjähriger, begann mein Vater mit dem Autofahren. Sein Onkel hatte einen Wagen, den er und seine Brüder sich gelegentlich ausliehen, um damit durch Karatschi zu fahren. Einen Führerschein hatte mein Vater nicht, aber das interessierte niemanden. »Sehr selten hielt uns ein Polizist an, dem gaben wir dann ein paar Rupien und damit war die Sache erledigt.« In dieser Zeit fuhr mein Vater auch Moped und Motorrad, die er sich von seinen Freunden oder seinen Brüdern lieh. Und wenn nichts Motorisiertes zur Verfügung stand, nahm er eben sein Fahrrad – Hauptsache, er hatte irgendetwas, womit er durch die Gegend fahren konnte.
    Jahrzehnte später, als er längst in Deutschland lebte, erzählte mein Vater, er habe das Autofahren von seinen Brüdern und durch die Herausforderungen des Straßenverkehrs in Karatschi gelernt. Seinen Führerschein machte er nie in einer Fahrschule, sondern er kaufte ihn in den Sechzigern, als er einmal mit seinem Schiff in Saudi-Arabien lag. »Meine Schwester lebte dort und hatte gute Verbindungen zur Regierung. Sie beantragte den Führerschein für mich, ich musste ihn nur in einem Amt abholen. Das ging ohne Unterricht und Prüfung, man zahlte einfach ein bisschen Geld und bekam dafür einen internationalen Führerschein.« Mit diesem durfte er später drei Monate lang in Deutschland fahren, anschließend legte er eine Fahrprüfung ab, und schon hatte er einen deutschen Führerschein – ohne eine einzige Fahrstunde. Als er mir das erzählte, habe ich mich nicht getraut ihm zu sagen, dass man das gelegentlich merkt. Ich glaube, das ist der größte Fehler der deutschen Bürokratie: der unerschütterliche Glaube an die Aussagekraft von Papieren.

    Pakistan blühte auf. Jinnah war zwar kurz nach der Staatsgründung gestorben, diverse zivile Regierungen wechselten sich ab, bis General Mohammed Ayub Khan sich 1958 an die Macht putschte. Nach Meinung vieler Pakistaner war er ein guter Regierungschef, einer, der das Land voranbrachte, der für Modernisierung sorgte, für wirtschaftliche Entwicklung und der mit Religion nicht viel am Hut hatte. 1961 verbot er Polygamie und schuf die rechtlichen Voraussetzungen, dass auch Frauen die Scheidung einreichen konnten. Aus Sorge vor einem indischen Angriff verlegte er 1961 die Hauptstadt Pakistans vom südlichen Karatschi ins nördliche Rawalpindi und gab den Bau einer neuen Hauptstadt nur wenige Kilometer von Rawalpindi entfernt in Auftrag; so entstand das moderne Islamabad, das 1967 Sitz der Regierung wurde. Er intensivierte die Beziehungen Pakistans mit China und griff 1965 Indien an, nachdem der große Nachbar drei Jahre zuvor einen Grenzkrieg mit China verloren hatte, 1964 Jawaharlal Nehru gestorben war und Indien mit Lal Bahadur Shastri einen aus pakistanischer Sicht schwachen Regierungschef bekommen hatte. Ayub Khan ging es darum, den Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan neu zu definieren und außerdem die Kaschmirfrage zu klären.
    Pakistan unterlag in diesem Krieg zwar, aber das Land litt ökonomisch kaum darunter.
    »In der Zeit, als Deutschland das Wirtschaftswunder erlebte, hatten wir längst ein Auto, einen Fernseher und ein Telefon zu Hause«, erinnert sich mein Vater.
    Der Familie meiner Mutter ging es ähnlich gut. Bis heute spricht meine gesamte Verwandtschaft mit Wehmut über die Sechzigerjahre; Sorge vor einer Militärregierung und Angst vor Krieg spielen in ihren Erzählungen keine Rolle.

    Es sind nicht immer die großen Momente, die das weitere Leben bestimmen. Manchmal ist es eine Kleinigkeit, die einem Lebensweg eine neue Richtung gibt. Ist es Schicksal oder Zufall? Göttliche Fügung oder Vorsehung?
    Eine solche Kleinigkeit war eine Zeitungsanzeige, die das Leben meines Vaters veränderte. Die Deutsche Dampfschifffahrtsgesellschaft Hansa aus Bremen, eine der damals weltgrößten Reedereien, benötigte dringend Personal: Matrosen, angehende Offiziere, Stewards, Kaufleute. Die deutsche Wirtschaft boomte, der Export nahm zu,

Weitere Kostenlose Bücher