Gruenkohl und Curry
überhaupt kein Vorwurf darin mit.
Was wohl aus mir geworden wäre, wenn mich meine Eltern in Pakistan erzogen hätten? Vielleicht lebte ich heute in einem großen, weiß verputzten Haus mit einer mir von der Verwandtschaft präsentierten pakistanischen Frau und mindestens vier Kindern am Stadtrand von Karatschi, hätte Hausangestellte und keine Ahnung von Deutschland. Wer weiß das schon?
Aber was, wenn sie mich streng islamisch erzogen hätten – in Deutschland? Wenn sie mir irgendwann eine Frau präsentiert und gesagt hätten: Die heiratest du jetzt. Hätte ich rebelliert oder mich meinem Schicksal gefügt?
Bei solchen Gedanken bin ich am Ende doch froh, dass meine Eltern mich sehr westlich erzogen haben. Ich frage mich: Wie haben sie es bloß geschafft, sich so zu verändern? Was hat dazu geführt, dass sie die Art und Weise ihres eigenen Zusammenkommens nie auf ihre Kinder, auf meine Schwester und mich, übertragen haben?
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erstaunt mich, dass die ersten Lebensjahrzehnte meiner Eltern so anders verlaufen sind als meine eigenen. Und dass sie uns einen so gänzlich anderen Lebensweg ermöglicht haben als den, den sie selbst gegangen sind. Dabei hatten sie ja keine schlechte Kindheit und Jugend, nur eine ganz andere als wir. Es mangelte ihnen an nichts. Und wenn es um Geschichten von früher, ums Essen, um die Sprache Urdu oder um ihre Kindheitserinnerungen geht, haben sie uns viel mitgegeben.
Ich frage meine Eltern selbst: »Kanntet ihr euch wirklich überhaupt nicht, bevor ihr geheiratet habt?«
»Doch, wir haben uns ein paar Mal vor der Hochzeit getroffen. Aber kennen wäre zu viel gesagt, wir haben uns nur kurz gesehen.« Meine Mutter denkt nach und versucht, sich zu erinnern. »Wer weiß, ob ich ihn überhaupt geheiratet hätte, wenn ich ihn besser gekannt hätte«, sagt sie und lacht.
Für das Zusammenkommen hatten die Geschwister meiner Eltern gesorgt. Safia, die Schwester meines Vaters, war eine Kollegin von Suraiya, der Schwester meiner Mutter, sowie deren Mann. Sie alle arbeiteten bei Radio Pakistan.
Welche Seite nun im Sommer 1973 den ersten Schritt machte, darüber gehen die Erzählungen in der Verwandtschaft auseinander. Fest steht jedenfalls: Es kam zu zwei, drei sorgfältig vorbereiteten Treffen, bei denen, wie es sich gehört, auch die Geschwister dabei waren.
»Wie war das?«, frage ich meine Eltern.
»Ach, na ja, er gefiel mir ganz gut«, ist alles, was meine Mutter verrät.
»Ja, sie gefiel mir ganz gut«, sagt auch mein Vater.
Das ist alles, was ich zu diesem Thema aus ihnen herausbekomme.
»Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet«, schrieb Friedrich Schiller in seinem Gedicht ›Die Glocke‹ – in manchen Kulturen müssen eben wenige Treffen ausreichen, um zu prüfen, wie es um die Herzen steht. Mindestens genauso wichtig wie die Frage, ob die beiden jungen Leute zueinander passten, war: Passten die Familien zusammen? Da beide Familien ihre Wurzeln im Norden Indiens hatten, also Mohajirs waren, muslimische Flüchtlinge aus Indien, beide schiitischen Glaubens waren, beide Wert auf ihre gute Herkunft und auf Bildung legten – was sollte da noch schiefgehen?
In Südasien heiratet man immer unter seinesgleichen. Der soziale Status sollte dem der eigenen Familie entsprechen. Die regionale Herkunft spielt auch eine Rolle: Ein Mann, der in Karatschi lebt, dessen Familie aber ursprünglich aus Nordindien stammt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Frau verkuppelt, deren Familie ebenfalls aus Nordindien ausgewandert ist – am besten aus demselben Dorf, was aber nur in den seltensten Fällen klappt.
Ein Seemann also, der auf einem deutschen Schiff fährt. Deutschland. Europa. Wieso eigentlich nicht?, dachte sich meine Mutter. »Es gab ja immer noch die Möglichkeit, später nach England oder in die USA umzuziehen, wenn es mir in Deutschland nicht gefällt. Eigentlich war das sowieso mein Ziel, für mich war Deutschland nur als Übergangsstation geplant.« Bislang hatte sie keinen Schritt aus ihrer Geburtsstadt heraus gemacht und nun stand ihr, sollte sie sich für diesen Mann entscheiden, Deutschland offen. »In den amerikanischen Spielfilmen waren die Deutschen damals immer die Bösen, wie später die Russen, aber ich hatte trotzdem keine schlechte Meinung von ihnen«, sagt sie. Sie überlegt kurz und fügt hinzu: »Eigentlich hatte ich gar keine Meinung.«
Schwerer wog die Tatsache, dass der Mann zur
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