Gruenkohl und Curry
gefällt.« Uday stimmt zu. »Bei uns gibt es viel weniger Scheidungen als bei euch«, sagt er und grinst, als er meinen zweifelnden Blick sieht – aber ich frage ihn nicht, ob er nicht auch glaubt, dass es dafür eine Menge unglücklicher Paare gibt, die nur wegen des familiären Drucks oder aus gesellschaftlichen Zwängen heraus zusammenbleiben. So, wie Vineet und Uday reden, merkt man, dass ihre Eltern gerade eifrig auf Partnersuche sind.
Die beiden haben Glück, viele junge Menschen in Indien und Pakistan trifft es deutlich härter: jene, die von ihren Eltern schon im Kindesalter einem Partner versprochen werden. Sie haben kein Vetorecht. »Auf dem Land ist das vielleicht so, in den Städten nicht«, sagt Uday. »In den Städten gibt es inzwischen auch immer mehr Liebesheiraten.« Er hält einen Moment inne und fügt hinzu: »Aber ich finde diese Entwicklung nicht so gut.«
Wieso sollte er auch, überlege ich, ohne es ihm zu sagen, denn was bleibt ihm nicht alles erspart dank der Dienstleistung seiner Eltern? Er bekommt seine künftige Partnerin auf dem Tablett serviert – kein pubertäres Balzritual, keine Konkurrenzkämpfe um eine Frau, keine peinlichen Anmachen sind nötig, Selbstzweifel und stundenlanges Aufbrezeln vor dem Ausgehen entfallen, Pickel bedeuten keinen Weltuntergang. Und wenn er sich verliebt, regeln die Eltern das. An Romantik scheint ihm nur wenig zu liegen.
Uday und Vineet gucken mich an, als würden sie meine Gedanken lesen. »Glaub bloß nicht, dass es bei uns einfacher wäre als bei euch«, sagt Vineet. »Wir haben auch unsere Probleme, bei uns ist immer der Druck da, spätestens mit dreißig Jahren verheiratet zu sein. Bei Frauen fängt der Stress schon mit fünfundzwanzig an.« Sie erzählen mir, dass ältere Singles oft mitleidige Blicke ernten: Der Arme, hat keine mehr abbekommen! Kriegt wohl nie mehr eine! »Und wenn man endlich verheiratet ist, kommt permanent die Frage: Wo bleibt der Nachwuchs? Furchtbar!«
Uday fügt hinzu: »In Großstädten gibt es zwar immer mehr Singles, die behaupten, sie wollten sich selbst verwirklichen. Das ist gleichbedeutend mit: Sie wollen keinen festen Partner.« Aber gesellschaftlich sei so etwas noch lange nicht akzeptiert.
So neugierig wie Uday und Vineet mich über das deutsche Liebesleben ausfragen, so erstaunt sind meine Freunde in Deutschland, wenn ich ihnen von arrangierten Hochzeiten in meiner pakistanischen und indischen Verwandtschaft erzähle. Manche fragen ungläubig nach: »Wie, deine Eltern kannten sich nicht, als sie heirateten?«
Nein, sie kannten sich so gut wie überhaupt nicht, antworte ich und versuche einen Ton zu treffen, der deutlich macht, dass das in vielen Teilen der Welt so üblich ist.
»Ihre Eltern und Geschwister haben sie füreinander ausgesucht?«
Könnte man so sagen.
»Und sie sind immer noch verheiratet?«
Ja, seit mehr als fünfunddreißig Jahren.
»Und lieben sie sich?«
Nach meiner Wahrnehmung so, wie sich die meisten Eltern meiner gleichaltrigen Freunde auch lieben. Kein Unterschied.
Meine deutsche innere Stimme sagt gelegentlich: Partnervorgabe von den Eltern? Niemals! Wieso sollten Eltern darüber entscheiden, mit wem ich, wenn’s gut läuft, den Rest meines Lebens verbringe? Gott sei Dank haben sie sich nie – zumindest nie offensichtlich – auf Partnersuche für mich gemacht. Wenn ich höre, was Pakistaner und Inder, aber auch Türken mir erzählen, die in Deutschland aufgewachsen sind, danke ich meinen Eltern inständig dafür, dass sie sich kulturell so sehr den westlichen Gebräuchen angepasst haben.
Prompt erschrecke ich über meine selbstgerechte Haltung, und meine südasiatische innere Stimme lässt sich vernehmen: Woher nehme ausgerechnet ich mir das Recht, die Lebensweise und die Traditionen von Millionen von Menschen zu verurteilen? Natürlich gibt es gruselige Fälle von vierzig-, fünfzig-, sechzigjährigen Männern, die sich eine Zehnjährige zur Frau nehmen. Von Menschen, die sich nicht lieben, die aber trotzdem von ihren Familien zur Heirat gezwungen werden. Aber was ist mit meinen unzähligen Cousins und Cousinen, die in aller Welt verstreut leben, aber einen sehr südasiatischen Lebensstil pflegen? Wer von ihnen verheiratet ist, hat seinen Partner mit freundlicher Unterstützung der Familie gefunden – und alle erzählen, es gehe ihnen bestens. Über meine »deutschen Bedenken« lachen sie. »Du bist halt ganz anders aufgewachsen als wir«, meinen sie. Und es klingt
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