Gruenkohl und Curry
verschwieg er.
Für seinen Dienst und das bisschen Tinte im Pass zahlten meine Eltern jeweils zehn Mark.
Ob er sich genauso strikt an die Gesetze hielt, wenn Ausländer vor ihm saßen, die ein geschliffenes Deutsch an den Tag legten und die ihre Rechte bis ins kleinste Detail kannten?
»Wir hätten auf den Tisch hauen sollen«, sagt mein Vater rückblickend. »Ich habe hier jahrelang gearbeitet und Steuern gezahlt, deshalb hätten wir uns weigern sollen, diese zweimonatige Frist hinzunehmen.«
Meine Mutter fügt hinzu: »Und wir hätten gleich sagen sollen, dass wir in Deutschland bleiben. Nicht nur für zwei Monate, sondern für immer!« Sie sagt das mit einer Wut im Bauch, vergessend, dass das damals noch gar nicht ihre Absicht war: für immer zu bleiben.
Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn meine Eltern sich schon zu diesem Zeitpunkt endgültig für ein Leben in Deutschland entschieden hätten. Vielleicht hätten sie sich eine Menge Probleme erspart, wenn sie ganz klar gesagt hätten: Uns kriegt hier niemand mehr weg, basta! Aber damals spielte Deutschland in ihren Träumen immer noch nicht die Hauptrolle.
Die erste Aufenthaltserlaubnis für meine Mutter war ein Jahr gültig gewesen. Drei Wochen vor dem Ende dieser Frist, Anfang September 1975, waren meine Eltern nach Stade zur Ausländerbehörde gefahren. Eine problemlose Begegnung: Ein Sachbearbeiter rief die beiden in sein Büro, hörte sich ihren Wunsch an, blickte auf das Seefahrtsbuch meines Vaters und blätterte die grünen pakistanischen Reisepässe durch. Ein Eintrag schien ihn zu irritieren, jedenfalls verharrte sein Blick lange darauf:
»Valid for all countries of the world except Israel«
. Eine bemerkenswerte Szene: In dem Land, das für die Ermordung von Millionen Juden verantwortlich war, sorgte dieser Gültigkeitshinweis dreißig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für Verwirrung. Was dem Staatsbediensteten wohl durch den Kopf ging?
Ich habe mir ältere pakistanische Pässe meiner Verwandtschaft angeschaut. In manchen steht der gleiche Eintrag, in anderen sind die Länder, in die die Inhaber reisen durften, seitenlang aufgelistet. Pakistan hat offensichtlich ein Problem mit Ländern, die mit dem Buchstaben I beginnen: Israel fehlt immer, je nach politischer Stimmung auch Indien. Zudem sind mehrere Ostblockstaaten, darunter die DDR, nicht aufgeführt.
Kommentarlos knallte der Beamte einen Stempel in die Pässe, wieder eine
»Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland einschl. des Landes Berlin«
, diesmal aber über das Arbeitsverbot hinaus mit dem Zusatz versehen:
»Der Nachzug von Familienangehörigen ist ohne Genehmigung der Ausländerbehörde nicht gestattet.«
In den Pass meines Vaters schrieb er außerdem:
»Aufenthaltserlaubnis berechtigt nur zum Besuch der Seefahrtschule Grünendeich.«
Handschriftlich trug der Sachbearbeiter in beide Pässe das Gültigkeitsdatum ein: 30. Juni 1976. Mein Vater sagte ihm, seine Ausbildung ende aber erst im August, doch der schüttelte nur den Kopf. »Dann kommen Sie wieder und wir verlängern noch einmal«, beschied er. Meine Eltern verstanden nicht, weshalb er nicht gleich den 31. August 1976 eintrug. Aber sie sagten nichts, sie waren erleichtert, dass sie den Stempel hatten und gehen konnten.
Die Atmosphäre, die hallenden Räume, die kargen Stühle im Warteraum, der Mief, den der Kunststoffboden ausströmte, der barsche Umgangston der Beamten, die spürbar von den vielen schlecht Deutsch sprechenden Ausländern genervt waren, all das schüchterte sie ein.
Die Behörde kassierte damals vierzig Mark von meinen Eltern, zwanzig Mark pro Stempel.
Und nun das: »Bis Ende August müssen Sie ausreisen.«
Meiner Mutter fielen in dieser Situation ein paar der deutschen Schimpfworte ein, die sie an Bord der »Steinfels« gelernt hatte. Aber sie hütete sich, irgendeines davon laut zu sagen.
Meine Eltern fanden sich damit ab, dass die Zeit in Deutschland vorbei war. Nur nicht wehmütig werden, immer positiv denken. Bald könnte der alte, fast vergessene Traum von einem Leben in den USA oder in Großbritannien wahr werden.
Zur Kapitänsausbildung gehörte, dass mein Vater im Anschluss an die Seefahrtschule zwei Jahre als Erster Offizier zur See fahren musste – »sein Patent ausfahren« heißt das. Erst danach sollte er sein Kapitänspatent bekommen; als Kapitän hätte er als Nichtdeutscher auf einem deutschen Schiff aber auch dann nicht fahren dürfen. Hansa stellte ihn,
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