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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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Arabischen Meeres niederließ. Vom Erfolg dieser Frau angelockt, zogen nach und nach immer mehr Fischer in den Ort, den sie fortan Kolachi nannten. Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war Kolachi jedenfalls noch ein Fischerdorf, bevor seine für den Handel geografisch günstige Lage es zu einer Stadt werden ließ. Anderen Erzählungen zufolge soll der Ort schon viel früher existiert haben – unter dem Namen Krokala, wo Alexander der Große mit einem Segelschiff anlegte.
    Die Bevölkerung dieser Stadt wuchs nach der Gründung Pakistans 1947 explosionsartig, die meisten der Millionen muslimischer Auswanderer aus Indien kamen zunächst hierher. Bei kaum einem Einwohner spielt die Familiengeschichte vor der Teilung des Subkontinents in dieser Stadt. Karatschi ist seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts so etwas wie ein
melting pot
der Muslime Südasiens.
    Meine Schulfreunde aus Stade machten sich nicht nur über den Namen Karatschi, sondern auch über den des Stadtteils lustig, als ich ihnen einmal erzählte, wo genau meine Verwandten väterlicherseits lebten: in Nazimabad. Das Z wird wie im Englischen stimmhaft gesprochen, also ›Nasimabad‹, aber meine Freunde sahen das ›Nazi‹ darin und dachten, ich hätte mir den Namen ausgedacht. Dabei heißt Nazimabad noch heute so und liegt im Norden von Karatschi. Einst war es das vornehmste Viertel der Stadt, heute leben dort überwiegend streng religiöse
Pathanen
, Einwanderer aus Afghanistan. Auf den Straßen sind ausschließlich Männer mit Bärten zu sehen, während die Frauen hinter hohen Schutzmauern verborgen bleiben. Meine Verwandten sind vor ein paar Jahren von dort weggezogen.
    Die ersten Ereignisse meines Lebens, an die ich mich schemenhaft erinnere, haben mit Karatschi zu tun. Hier verbrachte ich meine Tage in einem Montessori-Kindergarten: ein Gebäude, in dem der Spielraum ein Glaskasten war, in dem braune, ordentlich gekleidete Kinder mit gekämmten schwarzen Haaren auf dem Fußboden spielen. Ich hocke mittendrin, schreiend.
    Ich hatte furchtbare Angst, dass meine Mutter mich nicht mehr abholen würde – schließlich war mein Vater kurz nach unserer Ankunft in Karatschi verschwunden, wieder auf sein Schiff, weg für mehrere Monate. Wer gab mir die Garantie, dass nicht auch meine Mutter abhauen würde? Mein Urvertrauen war erschüttert. Dazu die fremde Umgebung, die unzähligen neuen Leute um mich herum, Verwandte, Freunde, Bekannte, Kindergärtnerin, Kindergartenkinder, was weiß ich. Alles, was mir aus meinem bisherigen kurzen Leben geblieben war, war meine Mutter. Ich war zu klein, um zu verstehen, dass mein Vater als Seemann arbeitete und auf diese familienunfreundliche Weise unseren Lebensunterhalt verdiente.
    Er wurde mein Held, der mir jeden Wunsch zu erfüllen versuchte, sobald er Urlaub hatte und bei mir war. Die tägliche Erziehungsarbeit musste meine Mutter leisten.
    Alle meine Tanten und Onkel, Großeltern, Cousins und Cousinen waren für mich liebe, aber fremde Menschen. Ich klammerte mich an meine Mutter. Jeden Morgen, wenn ich in den Kindergarten ein paar Straßen vom Haus von Manzoor Ali Naqvi entfernt gebracht werden sollte, gab es Geschrei. Ich brüllte, was meine Stimme hergab. Mein Großvater hielt es irgendwann nicht mehr aus. »Lasst den Jungen doch zu Hause!«, schimpfte er. »Irgendwann wird er sich daran gewöhnt haben, dass sein Vater weg ist, dann probieren wir es wieder mit dem Kindergarten.« Meine Mutter hörte auf ihren Vater – nach nur ein paar Wochen war der Kindergarten für mich vorbei.
    Meine Verwandten umsorgten mich, das ängstliche Kleinkind, und versuchten, mich zu beschäftigen. Mein Onkel Jamal, der jüngste Bruder meiner Mutter, fing im Garten einen Frosch und forderte mich auf, die Hand auszustrecken. »Hier«, sagte er und setzte mir das Tier auf die Handfläche. Der Frosch urinierte und hüpfte, nachdem sich eine Pfütze auf meiner Hand gebildet hatte, in die Abenddämmerung davon. Ich schrie. Jamal lachte. Auch dieses Bild sehe ich ganz scharf. Als wäre es noch keine Jahrzehnte her.
    An einem anderen Tag entdeckte Jamal eine zweiköpfige Schlange in der Auffahrt des Hauses: zwei Köpfe am selben Ende, vermutlich waren es zwei zusammengewachsene Tiere. Jamal rief mich und die ganze Familie aufgeregt herbei. Meine Großmutter nahm mich sofort wieder ins Haus, wer weiß, was dieses Ungeheuer mir antun könnte. Ich frage mich, was Jamal mit dieser tierischen Sensation angestellt hat. Hat er die Schlange

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