Gruenkohl und Curry
und Qamar Jehan besuchten uns nie in Deutschland. Auch meine Großmutter väterlicherseits, Afsar Begum, kam nie, obwohl sie einmal, als sie schon über neunzig war, den weiten Weg von Pakistan in die USA auf sich nahm. Eine mehrtägige Pause in Europa wollte sie aber nicht machen. Für Kazim Ali Khan blieb es bei diesem einzigen Aufenthalt.
Im Laufe der Jahrzehnte haben uns einige Verwandte in Deutschland besucht: meine Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. So richtig wohl hat sich hier keiner von ihnen gefühlt. Es waren schöne Treffen, keine Frage, voller Gespräche über alte Zeiten, voller Begegnungen mit unseren deutschen Freunden, damit die Verwandten sehen konnten, dass wir nicht alleine waren, voller Sightseeing, Hamburg, Elbe, Stader Innenstadt. Aber sie fühlten sich immer irgendwie fremd, weil es ihrer Meinung nach in Stade so wenig Lebensnotwendiges gab.
»Wie kommt ihr nur ohne die ganzen Gewürze aus?«
»Wie könnt ihr nur ohne Kontakt zu anderen Pakistanern leben?«
»Was, in Stade gibt es keine Moschee?«
»Was die hier als Currypulver verkaufen, ist eine Zumutung.«
»Ihr könnt hier keine indischen oder pakistanischen Fernsehprogramme empfangen?«
Selbst die meisten meiner Verwandten, die seit Jahren in den USA oder in Großbritannien lebten und zu uns nach Deutschland kamen, fanden unser Leben im Landkreis Stade eher merkwürdig. In London, Washington oder Houston gibt es wenigstens eine
Desi
-Community, Desi-Restaurants, Geschäfte mit Desi-Klamotten, Desi-Videotheken. Desi bedeutet »einheimisch« auf Hindi und Urdu, gemeint ist alles, was indisch oder pakistanisch ist.
Stade ist nicht desi genug.
Die meisten von ihnen sehen Pakistan als ihre Heimat an. Nur in meiner Generation finden sich einige, die mit Pakistan nicht viel am Hut haben. Weil sie dort nicht geboren wurden oder schon seit Jahren nicht mehr dort waren.
Was meine Eltern damals, Mitte der Siebzigerjahre, wohl geantwortet hätten, wenn jemand sie zum Beispiel bei einem Urlaub in London gefragt hätte, woher sie kommen? Aus Hollern-Twielenfleth, Deutschland? Aus Karatschi, Pakistan?
Sie können heute nur Vermutungen darüber anstellen. Wahrscheinlich Karatschi.
Was antworten sie heute?
Stade.
Was antworte ich?
Aus Hamburg. Eigentlich aus Stade, um exakt zu sein: aus einem Dorf, das Hollern-Twielenfleth heißt, gar nicht so weit von Hamburg entfernt. Aber jetzt lebe ich in Hamburg. Na ja, geboren bin ich in Oldenburg, dem niedersächsischen, nicht dem schleswig-holsteinischen. Ursprünglich kommt meine Familie aber aus Pakistan, aus Karatschi. Genau genommen aus Indien, aus Lucknow in Uttar Pradesh und aus Delhi. Meine Oma stammt allerdings aus Shimla, ihr Vater aus Persien. Aber Stade passt schon.
Oft folgt, nachdem ich »Hamburg« gesagt habe, schon die Nachfrage: »Aber ich meine, woher kommen Sie richtig? Wo ist Ihre Heimat?« Ich verstehe, was diese Leute wissen wollen, und ich setze meine Antwort wie beschrieben fort.
Früher habe ich auf Hamburg beharrt. Nur um den Fragesteller zu ärgern. Manche konnte man so in Verzweiflung treiben.
»Ja, sag ich doch: aus Hamburg. Ich komme richtig aus Hamburg. Meine Heimat ist Hamburg.«
Ich sagte »Hammbuich«, das klang glaubwürdiger.
»Schon klar, aber wo liegen Ihre Wurzeln?«
»Meine Wurzeln? In Oldenburg, da bin ich geboren. Und in Stade, da bin ich größtenteils aufgewachsen.«
»Ja, natürlich, verstehe, aber ich meine das Herkunftsland Ihrer Familie.«
»Herkunftsland meiner Familie? Also, jetzt werden Sie aber sehr persönlich, wieso wollen Sie das denn wissen?«
Ich genoss das.
Die Antwort auf meine Frage hätte jetzt lauten können: »Hören Sie, Sie haben ausländische Wurzeln, ich kann’s doch sehen, jeder kann es sehen, Sie haben relativ dunkle Haut und schwarze Haare, außerdem einen fremd klingenden Namen. Und was ist schon dabei, ich frage doch nur, weil’s mich interessiert. Ich finde es spannend, etwas über Menschen zu erfahren, die aus anderen Ländern kommen und wahrscheinlich einen komplett anderen Lebensweg hatten als ich.«
Aber das traute sich niemand. Warum eigentlich nicht?
Vielleicht liegt das daran, dass viele Deutsche mit Wurzeln in weiß Gott welchen Ländern – irgendein Idiot hat die Bezeichnung »Mitbürger mit Migrationshintergrund« für sie erfunden – so reagieren wie ich früher und damit für Verunsicherung gesorgt haben.
Ich hörte jedenfalls irgendwann damit auf, lange um den Kern der Sache herumzureden. Neugier
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