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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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fotografiert? Heute würden wahrscheinlich alle Zeitungen der Welt das Bild veröffentlichen. Hat er sie getötet? Oder sie an einen Zoo oder eine Forschungseinrichtung verkauft? Inzwischen arbeitet er als Mediziner in New York, und wann immer ich ihn treffe, vergesse ich, ihn zu fragen.
    Allmählich gewöhnte ich mich an das Leben in Karatschi, so wie Kinder sich eben mit den Umständen abfinden. Die Geborgenheit der Großfamilie vertrieb das Gefühl der Fremde. Manchmal wohnten wir bei meinen Großeltern mütterlicherseits in Jamshed Town, dann wieder bei den Großeltern väterlicherseits in Nazimabad.
    Ich hatte so viele Verwandte, dass ich mir als Kind – und auch heute noch – nicht merken konnte, wer in welchem Verwandtschaftsgrad zu mir stand. Noch komplizierter wurde die Sache dadurch, dass man auf Urdu nicht einfach Tante und Onkel zu seiner Tante und seinem Onkel sagt, nein: Der Bruder der Mutter ist
Mamoo
, dessen Frau
Mumani
, die Schwester der Mutter
Khala
, deren Mann
Khalu
, den Bruder des Vaters redet man mit
Chacha
an, dessen Frau mit
Chachi
, die Schwester des Vaters ist
Phuppi
, deren Mann
Phuppa
. So wie Oma und Opa mütterlicherseits
Nani
und
Nana
und väterlicherseits entsprechend
Dadi
und
Dada
sind.
    Als braver pakistanischer Junge sollte man sich die Bezeichnungen besser merken.
    Zwei große Häuser und die jeweilige Umgebung wurden zu dem Gebiet, auf dem ich mich sicher fühlte. Die Schwiegerfamilie meiner Mutter hatte aufgegeben, von ihr zu verlangen, dauerhaft nur bei ihr zu wohnen. Sie hatte vor der Sturheit meiner Mutter kapituliert.
    Es war ein fröhliches Leben. Lachende Tanten. Witze erzählende Onkel. Verwandte, die andere Verwandte imitierten, vielleicht eine merkwürdige Sprechweise, eine seltsame Art zu gehen, ihr Schmatzen beim Essen. Im Hintergrund eine ratternde Nähmaschine. Scheppernde Töpfe. Ständig hing jemand am Telefon. Immer Leben in der Bude. Draußen die Krähen. Karatschi-Krähen.
    Wenn meine Großmutter Qamar Jehan mit mir zum Einkaufen ging, warf sie sich gelegentlich eine schwarze Burka über – immer dann, wenn sie ihren bequemen Haus-Shalwar-Kameez trug und keine Lust hatte, sich umzuziehen. Die Burka war perfekt, um ohne großen Aufwand korrekt gekleidet zu sein. So ging sie mit mir zu Fuß zum Markt in der Tariq Road, wo ich mir immer etwas aussuchen durfte, ein Spielzeug oder Bonbons. Zu dieser Oma gewann ich schnell Zutrauen. Selbst ihre komplette Verhüllung machte mir keine Angst, obwohl sie sie gespenstisch erscheinen ließ. Für meine Großmutter hatte die Burka keine religiöse Bedeutung, sondern war einfach nur ein praktisches Kleidungsstück. Einmal wöchentlich wusch sie es und breitete es zum Trocknen auf dem Rasen aus. »Omas Krähenklamotten« nannte ich das schwarze Ding.
    Auch im Elternhaus meines Vaters wurde ich verwöhnt. Mein Opa Kazim Ali Khan kochte trotz seines hohen Alters noch süße Speisen für mich, briet morgens Spiegeleier und bereitete abends unterschiedliche Currys zu. Ich staunte über die Eidechsen, die draußen an den Hauswänden in eine Starre verfielen und sich nur selten, dann aber blitzartig bewegten. Manchmal verirrte sich ein Tierchen ins Haus und sorgte für Geschrei unter den Tanten. Hier gefiel mir besonders, dass ich mehrere Cousins und Cousinen als Spielgefährten hatte, die alle im selben Haus oder ganz in der Nähe wohnten. In der Familie meiner Mutter war das nicht der Fall, die meisten ihrer Geschwister blieben kinderlos und die, die Kinder hatten, wohnten weit weg. Umso mehr Aufmerksamkeit blieb für mich.
    Gemeinsam mit meinen Tanten und Onkeln erkundete ich den riesigen Garten, besuchte regelmäßig das Chamäleon in der Gartenecke und freute mich, wenn ich Eidechsen oder Schlangen sah, wobei die ganze Familie ein Auge darauf hatte, dass ich nicht ins hohe Gras am Gartenrand verschwand, wo eine Begegnung mit einer Schlange böse hätte ausgehen können. Meiner Meinung nach konnte dieser Garten mit dem in Hollern-Twielenfleth gut mithalten.
    Im Gegensatz zu mir fiel meiner Mutter das Einleben schwer. Obwohl sie in Karatschi aufgewachsen war, spürte sie, dass sie hier nicht auf ewig bleiben konnte. Jahrelang hatte sie vom Westen geträumt, hatte zwei Jahre in Deutschland gelebt, endlich, und nun saß sie wieder in Karatschi. Dort hatte ihr niemand ins Leben reingeredet, ihr gesagt, was sie zu tun und was zu lassen habe. Hier war das anders, hier hatte sie das Gefühl, dass zu viele Leute ihr Leben bestimmen

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