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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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Hollern-Twielenfleth angekommen.
    »Was machst du denn hier, ganz alleine?«
    »Ich wollte euch besuchen, was sonst.«
    »Ja, aber wie bist du ...?«
    »Mit einem Taxi. Das war eine sehr nette Fahrerin, ich habe mich gut mit ihr unterhalten.«
    Unterdessen geriet mein Vater am Flughafen in Panik: Wo war sein Vater? Wen sollte er anrufen? Die Verwandten in Pakistan würden krank vor Sorge werden und konnten ohnehin nicht helfen. Meine Mutter konnte er nicht erreichen, denn Otti war bei der Arbeit. Er machte sich wieder auf den Weg nach Hause – wo er einen fröhlichen Kazim Ali Khan vorfand, der mit seinem Enkelkind spielte.
    Ein lustiges Bild: Ein Nawab aus Karatschi, Sohn eines Rajas, volles, graues Haar, grauer Schnurrbart, schwarze Hornbrille, steht in seinem weißen Shalwar Kameez in einer Zweizimmerwohnung in Hollern-Twielenfleth.
    Ein paar Tage später kam auch Zahra, die älteste Schwester meines Vaters, mit ihrem Mann. Die beiden waren aus Saudi-Arabien angereist, Zahra arbeitete als Ärztin in einem Krankenhaus, ihr Mann in der pakistanischen Botschaft. In den Räumen des kleinen Appartements drängten sich nun fünf Erwachsene und ein Säugling.
    Impressionen: Es schneit. Meine Eltern, Kazim Ali Khan, Zahra und ihr Mann sitzen auf dem Sofa in Ottis Wohnzimmer. Ein Blick aus dem Fenster, auf eine haushohe Tanne. Mein Großvater deutet mit dem Finger nach draußen. Mehr als achtzig Lebensjahre und keine einzige Schneeflocke. Und jetzt, in Hollern, Schnee – mitten im März.
    »Look! Snow! It’s snowing!«
    Alle springen auf, laufen zum Fenster. Otti freut sich mit uns.
    Noch ein Bild von meinem Großvater: Er steht vor unserem Haus im Schnee, wieder trägt er seinen weißen Shalwar Kameez, darüber eine dicke Daunenjacke. An den Beinen ist er viel zu dünn bekleidet.
    Ich frage mich, ob die Menschen, die ihn so sahen, ahnten, was für ein Leben dieser Mann geführt hatte, ob sie spürten, dass das der Sohn eines ehrwürdigen Rajas war, oder ob sie ihn nur für einen verrückten Alten im Kaftan hielten. Noch so ein merkwürdiger Ausländer. Und was sie wohl über meine Tante dachten, die stets einen Sari trug, meistens einen leuchtend gelben?
    Kazim Ali Khan blieb zwei Wochen bei uns, meine Tante und mein Onkel zehn Tage. Es war eine Zeit, in der es in unserem Haus besonders intensiv wie in Pakistan roch. Ständig brodelte ein Topf mit Curry auf dem Herd, wurden Fladenbrote gebacken, dampfte Reis in einer Schüssel. Kazim Ali Khan hatte Gewürze mitgebracht. Meine Eltern hatten aber auch ohne diesen Nachschub einen beeindruckenden Vorrat, aufbewahrt in ausgespülten Instant-Kaffee-Gläsern, da sie zu dieser Zeit – trotz durchaus positiver Eindrücke vom deutschen Essen – noch ausschließlich pakistanische und indische Gerichte kochten. Und im Lädchen in Hollern gab es ja fast nichts anderes als Salz und Pfeffer im Gewürzregal.
    Ein paar Hollerner Nachbarn, die sie einluden, lernten, was es heißt, scharf zu essen. Einer von ihnen teilte ein paar Tage später ungefragt seine Erfahrungen mit: »Bei eurem Essen brennt es zweimal: einmal zu Beginn der Verdauung und einmal am Ende, haha.«
    Der Geruch in unserer Wohnung rührte aber auch von der Kleidung der Verwandten her, eine Mischung aus Mottenkugeln, Koriander, Räucherstäbchen, Benzin und Rosenwasser. Wann immer ich von einer Reise aus Südasien zurück nach Deutschland komme und meinen Koffer öffne, steigt mir eine Wolke aus diesem intensiven, aber nicht unangenehmen Geruch entgegen, den meine Hemden und Hosen dort angenommen haben und der in mir sofort Fernweh aufkommen lässt, obwohl ich ja gerade dort war. Ein vertrauter Geruch, wobei man beim ersten Wahrnehmen keine Ahnung hat, dass es so etwas in dieser Welt gibt: den Duft von Südasien.
    Unsere Verwandten hatten sich vergewissert, dass es uns gut ging und dass wir ein halbwegs menschenwürdiges Leben in Hollern führten, wenn auch ihrer Meinung nach nicht standesgemäß. Aber was sollten sie tun? Allen voran gaben sie die Schuld dafür meiner Mutter – schließlich war sie nicht davon zu überzeugen, nach Pakistan zurückzukehren, also sollte sie doch, bei Allah, in ihrer Kleinstwohnung in diesem Dorf glücklich werden.
    Als sie gingen, blieb nur ihr Geruch, und es keimte so etwas wie Sehnsucht und Heimweh in meiner Mutter auf. Wie es ihren Eltern wohl ging? Was sie von Hollern-Twielenfleth, von Otti, von dem schönen Obstgarten halten würden? Wir haben es nie erfahren, Manzoor Ali Naqvi

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