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Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
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einredete. Sie hatte doch noch gar nichts gesagt! Wahrscheinlich, dachte sie, war er wütend, weil sie sich einen Anwalt genommen hatten und sich wehrten.
    »Frau Kazim, ich muss Ihnen sagen, dass Sie einen großen Fehler begehen mit Ihrem Bemühen, Deutsch zu lernen. Sie müssen das Land auf jeden Fall verlassen und dann wird es für Sie, vor allem aber für Ihre Kinder, sehr schwierig, sich in Pakistan zurechtzufinden. Wie sollen sie sich da verständigen, wenn sie nur Deutsch sprechen?«
    Meine Mutter wunderte sich, warum der Beamte davon redete, wir müssten »auf jeden Fall« das Land verlassen. Sie grübelte, weshalb er so sicher war, dass wir »nicht Deutsche werden« konnten. War es nun endgültig aus? Mussten wir zurück nach Pakistan, in ein Land, das uns, der gesamten Familie, mittlerweile fremd geworden war? In ihrer Verwirrung wurde ihr der ungeheuerliche Vorwurf, sie bemühe sich, Deutsch zu lernen, erst viel später bewusst. Hieß es sonst nicht immer, Ausländer strengten sich nicht genug an, die Sprache zumindest in Grundzügen zu beherrschen?
    Ich muss Ihnen sagen, dass Sie einen großen Fehler begehen mit Ihrem Bemühen, Deutsch zu lernen.
    Integriert man sich nicht, ist es ein Fehler, heißt es in Debatten. Ausländer sollten sich bitte einfügen in die Gesellschaft, in der sie leben, manche sprechen sogar von anpassen. Zu viel Integration ist aber auch wieder falsch, jedenfalls fand das der Beamte. Wie viel Integration ist das richtige Maß? Genügt die Sprache? Was hat es mit der »Leitkultur« auf sich? Muss man Text und Melodie der Nationalhymne kennen? Oder Gedichte von Schiller und Goethe aufsagen können? Muss man das Grundgesetz gelesen haben oder genügt es, nicht dagegen zu verstoßen? Was sollen diese merkwürdigen Einbürgerungstests, die Dinge abfragen, die, da bin ich mir ganz sicher, viele Deutsche nicht wissen? Was ist mit der Kleidung? Darf ich im Shalwar Kameez, darf eine Frau in Deutschland im Sari in die Öffentlichkeit? Und wie steht’s mit der Religion?
    Meine Eltern waren noch längst nicht am Ende ihres Weges. Sie setzten ihn fort, auch wenn der Beamte das für falsch hielt.
    Meine Mutter bedankte sich bei dem Beamten, stand auf, ohne ihren Wunsch um eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vorgetragen zu haben, und verließ die Behörde.
    Zu Hause weinte sie.
    Der Anwalt legte meinen Eltern nahe, gegen den Landkreis Stade zu klagen – sowohl gegen die Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis als auch gegen das Nein zur Aufenthaltsberechtigung. Meine Eltern folgten diesem Rat. Das Verwaltungsgericht Stade nahm sich der Sache in zwei getrennten Prozessen an. Meine Eltern beantragten außerdem die aufschiebende Wirkung, um im Land bleiben zu dürfen, bis alles endgültig entschieden war.
    Die Einzelheiten all dieser Prozesse und Verfahren sind heute längst vergessen. Niemand in unserer Familie blättert noch in den dicken Bündeln Papier, die daran erinnern, wie zermürbend diese Zeit war. Meine Eltern verdrängten die Angelegenheit schon damals, so gut sie konnten. Sie wollten nur, dass das alles so schnell wie möglich vorbei war und wir in Deutschland bleiben durften. Sicher hatten sie zudem Sprachprobleme, ihr Deutsch war nicht gut genug, um all die Behörden- und Anwaltsbriefe, all das Amts- und Juristendeutsch zu verstehen. Viele der Vorgänge musste ich aus den Dokumenten vom Dachboden meiner Eltern rekonstruieren.
    Kurz nach dieser denkwürdigen Begegnung fragte der Beamte beim Anwalt meiner Eltern erneut nach dem Gesundheitszustand meiner Schwester. Der schrieb sofort an uns:
»Es erscheint mir daher sinnvoll, wenn Sie versuchen, bei Ihrem zuständigen Arzt die Reisefähigkeit Ihres Kindes überprüfen zu lassen und mir ein entsprechendes Attest schicken.«
    Doktor Gosch war verunsichert, er wusste von den Vorwürfen des Landkreises Stade, er stelle uns »Gefälligkeitsatteste« aus. Als meine Eltern ihn aufsuchten, machte meine Schwester einen gesunden Eindruck. Er erklärte sie für reisefähig.
    Die Ausländerbehörde forderte meine Eltern daraufhin ultimativ auf, Deutschland bis zum 31. Dezember 1980 zu verlassen. Bis dahin bekamen wir nun nur noch den Status von »geduldeten Ausländern«. Die sogenannte Duldung war ein Formular, mit dem meine Eltern alle paar Wochen zur Ausländerbehörde fahren und sich einen neuen Stempel geben lassen mussten – um sicherzustellen, dass sie nicht untertauchten und womöglich illegal in Deutschland blieben. Die

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