Gruenkohl und Curry
mich und stieg gemeinsam mit mir in den Bus.
So ging das wochenlang.
Gisela begleitete mich, um mir die Angst zu nehmen. Meine Mutter sollte zu Hause bleiben, damit ich lernte, mich von ihr wenigstens für ein paar Stunden zu trennen. In den ersten Tagen blieb Gisela sogar die ganze Zeit über im Kindergarten – nicht wegen ihrer beiden Töchter, die das Schicksal des Kindergartens schnell akzeptiert hatten, sondern meinetwegen.
Ich begann, Gisela zu vertrauen. Viele Nachmittage verbrachte ich bei Laurichs, wenn wir aus dem Kindergarten zurückkamen. Sabine und ich freundeten uns an, oft verbündeten wir uns gegen die ein Jahr ältere Marina und machten ihr das Leben zur Hölle, indem wir ihr zum Beispiel immer und bei allem widersprachen oder so taten, als hätten wir Geheimnisse vor ihr.
Im Sommer veranstalteten wir Hollerner Kinder in der Vorderstraße, einem nur wenig befahrenen Dorfweg parallel zur Hauptstraße, Wettbewerbe im Kirschkern-Weitspucken. Oder wir besuchten plattdeutsche Theateraufführungen der Laienspielgruppe und sahen uns Stücke mit Namen wie ›Bi uns to Hus, im Olen Land‹ an. Im Winter, sobald der erste Schnee fiel, banden wir unsere Schlitten an einen Trecker und ein Bauer zog uns von einem Ende der Vorderstraße bis zum anderen, immerhin ein paar Kilometer. Oder wir fuhren nach Twielenfleth zum Deich und rodelten der Elbe entgegen, hunderte Mal am Tag, runter, rauf, runter, rauf, bis das Gras unter der Schneedecke zu sehen war.
Wenn ich ab und zu bei Laurichs Abendbrot essen durfte, stellten wir Kinder Gisela alle Fragen der Welt: Wie wird Salami gemacht? Wie wird man Kindergärtnerin? Was ist Muskatnuss? Wie macht man aus Holz Papier? Woraus besteht Tinte? Und woraus Marmelade? Alles, was uns in den Kopf kam und uns nicht ganz klar war, fragten wir Gisela. Anstatt genervt zu sein, beantwortete sie uns geduldig jede Frage. Oft gab sie uns Kinderbücher oder holte ein Lexikon und schlug die Antwort nach. Meine Leidenschaft für Bücher habe ich von ihr.
Marina und Sabine mussten sich, im Gegensatz zu mir, zur festen Zeit bettfertig machen. Ich sah immer zu, dass ich rechtzeitig zur ›Sesamstraße‹ zu Hause war. Mit meinem gelben Fahrrad fuhr ich die hundert Meter nach Hause. Marina und Sabine waren nicht so abhängig von dieser Sendung wie ich.
Auch im Kindergarten wurde meine Leidenschaft fürs Lesen gefördert, ich bekam ›Räuber Hotzenplotz‹ und ›Jim Knopf‹ in die Hände, manchmal las uns eine der Kindergärtnerinnen daraus vor. Im Kindergarten lernte ich auch die wichtigsten Bibelgeschichten kennen. Meine Eltern hatten nichts dagegen, im Gegenteil, sie freuten sich über mein grundsätzliches Interesse an Erzählungen. Ich fand sie so spannend, dass Oma, Opa und Otti mir, als ich schon in der Schule war, eine Kinderbibel zum Geburtstag schenkten.
Zu Weihnachten führten wir ein Krippenspiel in der Twielenflether Kirche auf. Ich spielte natürlich den schwarzen König Caspar. Meine Mutter besuchte zum ersten Mal in ihrem Leben einen christlichen Gottesdienst.
Eine merkwürdige Vorstellung: Ein schiitischer pakistanischer Junge, der samt Familie kurz vor der Ausweisung steht, spielt in der evangelischen Kirche im Dorf Twielenfleth einen der Heiligen Drei Könige.
»Für dich brauchen wir keine Schminke«, sagte ein Mädchen aus meiner Kindergartengruppe und kicherte über ihren Witz. Ich ignorierte sie. Dieses altkluge Mädchen konnte ich von Anfang an nicht leiden und jetzt gab sie auch noch mit ihrer Rolle als Maria an und tänzelte permanent um den Jungen herum, der den Säugling Jesus spielen sollte, obwohl der fast einen Kopf größer war als sie. Blöde Kuh, dachte ich.
Das Krippenspiel lief gut über die Bühne, ich sagte meinen Text fehlerfrei auf. Meine Mutter war stolz auf mich.
Und ich war stolz auf meine Mutter, denn sie hatte begonnen, den Führerschein zu machen. Ich hatte es immer merkwürdig gefunden, dass Gisela Auto fahren konnte, Otti, die ihren Führerschein erst in Deutschland gemacht hatte auch, aber meine Mutter nicht.
Sie hatte es satt, immer mit meiner Schwester im Arm und mir an der Hand mit dem Bus nach Stade zum Einkaufen zu fahren und auf dem Rückweg auch noch die Tragetaschen zu schleppen. Sie hatte sich daher entschlossen, die Fahrschule zu besuchen, und sobald mein Vater wieder von seinem Schiff kam, sollte er ein Auto kaufen.
Laurichs hatten einen hautfarbenen Golf I, den ich furchtbar schick fand. Meine Eltern ließen sich
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