Gruenkohl und Curry
dringend dazu geraten, Herrn Kazim den Aufenthalt bis zum Abschluß des Patentes ›Kapitän auf Großer Fahrt‹ zu gewähren.
Wir sind der Meinung, daß die weitere Anwesenheit der Familie Kazim die Belange der Bundesrepublik nicht beeinträchtigt, ja sogar im Interesse Pakistans dringend geboten ist. Wir sind hier der Meinung, daß darüber hinaus in diesem speziellen Fall über eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis aus besonderen Gründen positiv entschieden werden sollte. Nicht zuletzt für den Wahlkreis wäre dies von erheblicher Bedeutung.
Mit herzlichen Grüßen
Dein Wolfgang Baars
Von solchen Vorgängen bekam ich nichts mit. Meine Eltern versuchten immer, ihre Probleme mit den Behörden vor uns Kindern zu verbergen. Aber die gedrückte Stimmung nach schwierigen Behördengängen, die Enttäuschung nach niederschmetternden Briefen, die Angst vor einer erneut angedrohten Abschiebung ließen sich nicht geheim halten.
Meist fassten sie wieder Mut, wenn Freunde ihnen versicherten, dass sie sich weiter für uns einsetzen würden.
Als in unserem Haus eine großzügige Dreizimmerwohnung frei wurde, zogen wir um: vom Dachgeschoss ins Erdgeschoss. Es war nicht nur ein Umzug in eine größere Wohnung, in der ich mein eigenes Zimmer bekam, es war auch ein Schritt, mit dem meine Eltern signalisierten: Seht her – wir bleiben!
Trotz der Sorgen meiner Eltern war es eine wunderbare Zeit für uns alle. Meine Eltern richteten die Wohnung nach ihrem Geschmack ein, kauften eine grüne Sitzgarnitur mit orangen Streifen und einen grünen Teppich, der mitten im Zimmer eine Welle schlug, weil der Boden leicht feucht war. Meine Eltern ärgerte dieser deutlich sichtbare Hügel im Teppich sehr, meine Freunde und ich fanden ihn dagegen großartig, war er doch eine ideale Rampe, um unsere Spielzeugautos darüberfahren und durch die Luft fliegen zu lassen. Wie die Autos in der Fernsehserie ›Ein Colt für alle Fälle‹, die wir alle liebten.
Ich erkundete mit meinem gelben Fahrrad das Dorf, fand irgendwann sogar Gefallen am Kindergarten, verlor meine Angst vor dem Alleingelassenwerden ein bisschen, liebte das Leben auf dem Land. Ich kann mir heute keine schönere Kindheit vorstellen als eine in Hollern-Twielenfleth.
Oma und Opa Truetsch von nebenan nahmen gänzlich die Rolle unserer Großeltern ein, Oma kam jeden Tag mit Schokolade oder ein paar Käseröllchen, die sie in ein Taschentuch wickelte, zu Besuch. Einmal in der Woche gab sie meiner Schwester und mir jeweils noch ein Fünfzigpfennigstück dazu und besserte damit unser Taschengeld von wöchentlich zwei Mark auf. Bei einem ihrer Besuche versprach Oma mir eine Armbanduhr. »Sobald du die Uhr lesen kannst, bekommst du eine von uns«, sagte sie.
Kaum war sie gegangen, ließ ich mir von meinen Eltern erklären, was der große und der kleine Zeiger bedeuten. Ich übte und übte und etwa eine Stunde später klopfte ich bei Oma und Opa.
»Ich kann es jetzt«, verkündete ich stolz.
Am Abend, als Otti von der Arbeit kam, erzählten sie ihr die Geschichte. »Du glaubst es nicht, aber du musst jetzt los und dem Jungen eine Uhr kaufen.« Es war meine erste Uhr.
Otti besuchte uns fast jeden Abend nach der Arbeit für einen Moment, spielte mit uns ›Mensch, ärgere dich nicht‹ oder guckte sich mit uns eine Folge von ›Tom und Jerry‹ an. Im Sommer fuhr sie an den Wochenenden mit uns Kindern nach Stade zum Eisessen. Oder sie nahm uns mit ins Twielenflether Freibad, das ich schon vom Schwimmkurs kannte, an dem ich gemeinsam mit meiner Mutter teilgenommen hatte. Meiner Mutter war es egal, dass sie die einzige Erwachsene in der Gruppe war. Mir war es ein bisschen peinlich, wenn sie wie ich Schwimmflügel trug.
Als ich mein Seepferdchen machte, schenkte Otti mir als Belohnung vier Mark. Kurz danach machte auch meine Schwester ihr Seepferdchen, angetrieben von der Aussicht auf vier Mark.
Es fehlte uns an nichts.
Solange mein Vater noch arbeiten durfte, besuchten wir ihn oft auf seinem Schiff, wenn es mal in Bremen lag. Eine Zeit lang fuhr er als Erster Offizier auf einem Stückgutfrachter mit dem Namen »Bentainer«, meist nach Skandinavien, England und Frankreich.
Der Kapitän auf diesem Schiff hieß Konrad Frank, ein kleiner, kerniger Mann Anfang fünfzig mit Tätowierung auf dem Unterarm, die er sich in seiner Jugend hatte machen lassen und die er inzwischen bereute. Er lebte zufällig ganz in der Nähe, in Dornbusch, etwa eine halbe Stunde Autofahrt von Hollern
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