Gruenkohl und Curry
Duldung, auch
»Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung«
genannt, war der niedrigste Aufenthaltsstatus, die Arbeitserlaubnis für meinen Vater war damit dahin.
Der Anwalt schrieb meinen Eltern eine beruhigende Notiz:
»Seien Sie vorerst unbesorgt. Der Landkreis Stade kann Sie, wenn überhaupt, erst abschieben, wenn eine Abschiebungsverfügung erlassen worden ist. Auch dagegen kann gerichtlich vorgegangen werden.«
Die Behörde setzte plötzlich auf eine neue Argumentation. Wörtlich schrieb der Beamte dem Anwalt am 10. November 1980:
Ihre Mandanten kommen aus einem Entwicklungsland. Die Aufenthaltserlaubnisse des Herrn Kazim wurden unter dem Gesichtspunkt der Entwicklungshilfe zu Ausbildungszwecken erteilt. (...) Eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Herrn Kazim würde Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen, da hierdurch das Wirksamwerden der geleisteten Entwicklungshilfe verhindert würde.
Die Bezirksregierung Lüneburg schrieb einem Freund meiner Eltern, der sich dort für uns eingesetzt hatte, einen ähnlichen Brief:
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Ausländergesetz darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange der Bundesrepublik nicht beeinträchtigt. Zu den Belangen
der Bundesrepublik Deutschland gehört auch das Wirksamwerden der von ihr geleisteten Entwicklungshilfe. Der Zweck der Entwicklungshilfe gebietet es, den dauernden Aufenthalt eines Ausbildungsbewerbers in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. (...) Pakistan gehört zu den Entwicklungsländern. Herr Kazim ist zu Ausbildungszwecken in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, diese Ausbildung ist beendet. Durch die Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis würden also Belange der Bundesrepublik beeinträchtigt. Unter diesen Umständen sehe ich leider keinen Weg, der Familie Kazim den weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Auch den beiden erst 2 und 6 Jahre alten Kindern der Eheleute Kazim kann eine Rückkehr nach Pakistan durchaus zugemutet werden. Es ist bei dem Alter der Kinder nicht zu befürchten, daß diese bei einer Rückkehr zusammen mit den Eltern gesundheitlich oder anderweitig Schaden erleiden könnten.
Entwicklungshilfe? Welche Entwicklungshilfe? Niemals war vorher davon die Rede gewesen, die Ausbildung meines Vaters war nicht aus Entwicklungshilfemitteln finanziert worden. Die Reederei Hansa hatte Anfang der Sechzigerjahre weltweit Personal gesucht, das zur See fahren wollte, weil sie dieses Personal dringend benötigte – und mein Vater hatte sich beworben. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, vor allem für die Fahrten in heiße Länder seien südländische Seefahrer gute Leute, denen würde die Hitze nichts ausmachen, erzählte mir Jahre später ein pensionierter Hansa-Kapitän. Und jetzt sollte das plötzlich Entwicklungshilfe sein. Mit dieser neuen Argumentation trat der Vertreter des Landkreises vor Gericht auf.
Der Anwalt meiner Eltern entgegnete dem Landkreis schriftlich:
Nach meiner Auffassung läßt sich die Entscheidung über den Antrag der Mitglieder der Familie Kazim nicht mit entwicklungspolitischen Gesichtspunkten lösen. Es bestehen Zweifel daran,
daß dies von Anfang an ein Gesichtspunkt war. Ganz abgesehen davon gilt, daß entwicklungspolitische Gesichtspunkte zurückzustellen sind, wenn sich der Antragsteller längere Zeit rechtmäßig hier aufhält, aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und diese in die deutschen Lebensverhältnisse hineingewachsen sind.
Hollerner und Stader Freunde meiner Eltern schalteten nun auch die Bonner Politik ein – sie verfassten Briefe an das Bundesinnenministerium, und der Gewerkschafter Wolfgang Baars schrieb an seinen Freund Wolfgang von Geldern von der CDU, Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, und bat um Hilfe.
Lieber Wolfgang,
anläßlich einer Tagung der U N-World -Maritime-University in Malmö, Schweden, hatte ich Gelegenheit, den Fall Kazim ausführlich mit Commodore S. K. Shamsie, Commandant der Pakistan Marine Academy, Karachi, Pakistan, zu besprechen. Besonders haben wir die Frage geprüft, ob die Ausbildung von Herrn Kazim (Kapitän auf Kleiner Fahrt) den Interessen Pakistans entspricht. Commodore Shamsie hat die Frage eindeutig verneint und könnte Dir dies auch persönlich bestätigen. Wenn überhaupt, bräuchte Pakistan für seine wenigen Schiffe und die Administration Kapitäne auf Großer Fahrt. Commodore Shamsie hat
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