Gruenkohl und Curry
am Ende und nicht in der Lage, das Risiko eines weiteren langwierigen Verfahrens auf sich zu nehmen.
Ich halte es zwar insgesamt gesehen für schwer erträglich, daß es Ihre Behörde in der Hand hat, meine Mandanten zu einer riskanten Entscheidung zu zwingen. Ich möchte Ihnen gegenüber dies jedoch deutlich zum Ausdruck bringen und hoffe, daß Sie diese erzwungene Annahme der angebotenen Duldung nicht späterhin im Verfahren zu Ihren Gunsten ausspielen.
Ich habe daher Herrn Kazim empfohlen, die angebotene Duldung anzunehmen und sich in den nächsten Tagen bei Ihnen zu melden. Herr Kazim ist darauf dringend angewiesen, weil er nur durch seine Arbeit die Familie ernähren kann.
Zur Erläuterung unserer Rechtsauffassung verweise ich jedoch
darauf, daß die grundlegende Ansicht, daß den Eheleuten Kazim eine Aufenthaltserlaubnis zusteht, nicht aufgegeben wird. Die Unterschiede zwischen einer Duldung, die nach der Systematik des Ausländergesetzes für ganz andere Fälle gedacht ist, und der angestrebten Aufenthaltserlaubnis sind offenkundig.
Tatsächlich erlaubte die Behörde meinem Vater daraufhin wieder zu arbeiten: Er durfte, vorerst nur für vier Monate, zur See fahren. An seinem Aufenthaltsstatus als Geduldeter wollte die Behörde nichts ändern. In das Duldungspapier trug der Beamte wieder ein:
»Erwerbstätigkeit nicht gestattet!«
Gemeint war, dass er keine Arbeit an Land annehmen durfte, was er ohnehin nicht vorhatte.
Geduldet klingt nach: ausgehalten, ertragen. Nicht nach: herzlich willkommen.
Als ich diese Papiere entdeckte, die Briefe des Anwalts und der Ausländerbehörde, fragte ich meine Eltern noch einmal: Warum seid ihr trotz dieser Widrigkeiten geblieben? Warum habt ihr euch das gefallen lassen und seid nicht nach Pakistan zurückgekehrt, wo ihr ein viel besseres, materiell abgesichertes Leben gehabt hättet? Warum habt ihr nicht versucht, doch nach England oder in die USA auszuwandern?
»Wir mochten es hier«, sagte mein Vater. »Wir hatten so viele Freunde gefunden, die uns halfen.«
»Wir wollten euch Kinder nicht aus diesem Umfeld rausreißen. Ihr hattet hier eure Freunde und fühltet euch sehr wohl«, sagte meine Mutter. »Warum hätten wir woanders hingehen sollen?«
Auch der neue Antrag auf Aufenthaltserlaubnis wurde abgelehnt. Meinen Eltern blieb nichts anderes übrig, als wieder zu klagen. Jetzt blieb nur noch die Hoffnung auf die Richter, die zunächst über eine Aufenthaltserlaubnis für uns und damit auch über eine längerfristige Arbeitserlaubnis für meinen Vater entscheiden sollten.
Hätten meine Eltern zu diesem Zeitpunkt vorausgesehen, was noch alles auf sie zukommen sollte, hätten sie, davon bin ich überzeugt, ihre Sachen gepackt und Deutschland für immer den Rücken gekehrt, egal, wie wohl sie sich in Hollern-Twielenfleth fühlten.
Von der Unmöglichkeit, ein Deutscher zu werden
Im Sommer 1981 wurde ich eingeschult. Schon Wochen vorher hatte ich mich auf die Schule gefreut, hatte mir meine Schulbücher angeschaut, meinen neuen Füllhalter ausprobiert und meinen Schulranzen in der Wohnung herumgetragen. Meine Eltern hatten mir, natürlich, einen braunen gekauft, weil ich vergessen hatte, ihnen zu sagen, was ich von dieser Farbe hielt.
Ich war das einzige Ausländerkind an der Grundschule Hollern-Twielenfleth. Eigentlich spielte das keine Rolle: Die meisten kannte ich aus dem Kindergarten und ich fühlte mich von ihnen akzeptiert. Trotzdem führte meine Hautfarbe gleich in einer der ersten Wochen zu einem Streit – und zur ersten und einzigen Prügelei in meinem Leben. Ein Klassenkamerad, ein etwas dicklicher Typ, warf mir nach einem verlorenen Fahrradwettrennen an den Kopf: »Du bist braun wie Scheiße!«
Wut stieg in mir auf. Ich starrte ihn an und überlegte, was ich erwidern konnte.
»Und du bist so fett, dass mein Vater dich auf seinem Schiff als Ballast verwenden kann!«
Ich glaube, das saß, auch wenn er das Wort Ballast bestimmt nicht kannte. Jedenfalls walzte er auf mich zu, packte mich am Hals und stieß mich um. Ich versuchte mich zu wehren, seinen Schlägen zu entgehen, aber da hockte er nun auf meinem Bauch und prügelte auf mich ein. Irgendwann hielt er meine Hände fest – ich lag da wie gekreuzigt – und schrie: »Nimm das zurück! Nimm das sofort zurück!«
Mir blieb nichts anderes übrig.
»Du bist nicht fett genug für Ballast.«
»Nein, nicht so!«, schrie er. »Nimm das richtig zurück!«
Selten habe ich mir mehr gewünscht, kein
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