Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gruenkohl und Curry

Gruenkohl und Curry

Titel: Gruenkohl und Curry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hasnain Kazim
Vom Netzwerk:
Flecken an Häuserwänden und auf Gehwegen in Südasien sind kein Blut, sondern Paanreste, die einfach ausgespuckt werden. Paan ist der Kaugummi des Ostens. Für Kinder gibt es eine süße Variante mit viel Kokos und Zucker, dafür ohne Betelnuss. Ich mag das Zeug sehr.
    Meine Tante spuckte Gott sei Dank nichts auf die Straße, sie aß das Blatt samt Füllung auf. Ihre roten Zähne erschreckten mich. Merkwürdige Tante, dachte ich. Warum musste meine Tante ausgerechnet aus Karatschi kommen, nicht aus Kaiserslautern, wie die von Sabine?
    Tante Zahra hatte von unseren Schwierigkeiten mit den Behörden gehört. Wahrscheinlich hat sie sich gewundert, dass ihr jüngster Bruder für dieses Leben kämpfte. Was um Himmels willen war es, das meine Eltern hier festhielt? Meine Tante konnte die engen Bindungen, die meine Eltern zu den Menschen hier eingegangen waren, die Idylle, die Schönheit dieser Region nicht nachempfinden. Sie sah das Offensichtliche: dass es uns hier materiell schlechter ging.
    Ihr missfiel, dass ich mich weigerte, Urdu zu sprechen, obwohl ich es ihrer Meinung nach doch können musste; von meiner Schwester nahm sie an, dass sie es gar nicht erst gelernt hatte. Ständig forderte sie mich auf:
»Urdu bolo«
– »Sprich Urdu.«
    Noch mehr missfiel ihr aber, dass wir viel zu wenig über den Islam wussten. Ich hatte nie gelernt, den Koran zu lesen, konnte nicht beten, wie Muslime es tun, selbst das kurze islamische Glaubensbekenntnis, die
Schahada
, war mir fremd und nie benutzte ich Worte wie »Inschallah«. Meine Eltern verschwiegen ihr lieber, dass ich mit Spaß am evangelischen Religionsunterricht von Frau Ferch teilnahm.
    Es war ein unausgesprochener Vorwurf gegenüber meinen Eltern:
Ihr habt die Kinder von ihrer Kultur entfremdet.
Sie verlangte, dass das Versäumte nachgeholt werden müsse.
    Thema meiner Tante war häufig der Islam. Und als Erstes musste meine Vorhaut dran glauben. Meine Tante bestand darauf, dass ich beschnitten werden müsse, wie es sich für einen muslimischen Jungen gehört – auch wenn das nirgends im Koran steht.
    Ich bekam Angst – ich war acht Jahre alt, kein Säugling! Man beschnitt doch keine Achtjährigen! Da ich wusste, dass man in Pakistan und Indien auf ältere Personen hört und dass diese Tante die älteste Schwester meines Vaters und daher eine besondere Respektsperson war, befürchtete ich das Schlimmste.
    Meine Eltern dachten über den Vorschlag nach.
    Jetzt blieb mir nur noch die Hoffnung auf Doktor Gosch. Aber der fiel mir zu allem Übel in den Rücken. Er sagte, eine Beschneidung sei überhaupt nicht schlimm und aus medizinischer Sicht sinnvoll, er empfehle es daher sehr.
    Zur Freude meiner Tante fanden meine Eltern in Stade einen Chirurgen mit ägyptischem Namen – wer wäre besser geeignet, die Beschneidung vorzunehmen als dieser wahrscheinlich muslimische Arzt? Schon wurde ein Termin ausgemacht. Als ich davon erfuhr, geriet ich in Panik: In wenigen Tagen sollte es so weit sein, denn meine Tante wollte unbedingt bei der Operation dabei sein. Sie war ja selbst Ärztin, Anästhesistin und daher daran interessiert zu sehen, wie in Deutschland operiert wird. Ihr Deutschlandurlaub war aber fast schon zu Ende.
    Es war die Hölle.
    Vor allem die Tage danach.
    Meine Eltern, meine Tante und meine Schwester wollten am Tag nach der Operation zum Einkaufen nach Stade fahren. Unter keinen Umständen wollte ich mit meinen Schmerzen zu Hause allein gelassen werden. Meine Eltern holten den alten Buggy vom Dachboden und verfrachteten mich ins Auto. In der Stadt blieb mir nichts anderes übrig, als mich in dem Kinderwagen durch die Fußgängerzone schieben zu lassen. Es war einer der demütigendsten Momente meines Lebens. Meine Schwester kicherte ständig.
    Oh Gott, was, wenn mir jemand aus meiner Schule über den Weg lief? Frau Ferch womöglich? Oder, schlimmer noch, meine Freunde? Wie sollte ich bloß erklären, warum ich im Kinderwagen hockte?
    Als wir wieder zu Hause waren, fiel eine riesige Anspannung von mir – ich war unendlich dankbar, niemandem in der Stadt begegnet zu sein, den ich kannte. Ich schwor mir, die Wohnung erst zu verlassen, wenn ich wieder gehen konnte.
    »Wir haben es getan, weil Doktor Gosch uns dazu aus medizinischen Gründen geraten hat«, sagt meine Mutter heute. »Mit Religion hatte das nichts zu tun.«
    Mittlerweile lache ich über diese denkwürdige Episode aus meiner Kindheit. Und dann fällt mir ein, dass nicht nur muslimische Männer, sondern

Weitere Kostenlose Bücher