Grünmantel
zu verbringen, denn je nach Anzahl der Männer, die Louie mitbrachte, könnte er sie im Haus festnageln. Draußen dagegen hätten Valenti und Frankie alle Vorteile auf ihrer Seite.
Nach der Rückkehr zu seinem Haus hatten sie ein paar Runden durch das Buschwerk in der Umgebung absolviert, um ein Gefühl für die Beschaffenheit des Geländes zu bekommen. Jetzt kannten sie das Terrain. Louie hatte das Gelände dagegen einmal bei Nacht gesehen - und das auch nur kurz. Seinen Männern blieb nichts anderes übrig, als sich anhand seiner Schilderung zu orientieren.
»Tut mir leid«, meinte Frankie. »Was haben Sie gesagt?«
»Sie lächeln, runzeln die Stirn und lächeln wieder. Ich habe mich gefragt, woran Sie denken.«
Frankie seufzte. »An alles mögliche.« Sie berührte den Griff der Automatik. »Ich habe das Gefühl, daß im Moment alles so unwirklich ist - aber vielleicht ist es auch zu real. Ich weiß es nicht. Hier sitzen wir mit diesen Schußwaffen und warten darauf, daß Earl oder ein paar andere Figuren aus dem Film The Godfather hier auftauchen. In der Zwischenzeit turnt meine Tochter mit einem Hirsch und einem Mädchen, dem Hörner aus dem Kopf wachsen, durch den Wald. Können Sie darin einen Sinn erkennen, Tony?«
»Erst Ihr Ex und jetzt Louie - ja, das kann ich verstehen. Und ich glaube, ich weiß, was Sie von dem Rest halten. Es ist unwirklich und zu real zur gleichen Zeit. Aber ich will Ihnen was sagen: Wenn diese Musik durch den Wald herüberdringt oder ich sie wie gestern nacht aus der Nähe höre, habe ich das Gefühl, daß ich irgend etwas sehr nahe bin - verstehen Sie, was ich meine? Es ist wie eine Antwort auf alle Fragen, nicht nur darauf, was gerade im Moment hier vor sich geht. Ich habe das Gefühl, daß die Erklärung zum Greifen nahe ist und ich mich nur ein paar Sekunden länger damit beschäftigen muß, um alles ganz klar vor mir liegen zu sehen.«
»Ich mache mir ernsthaft Sorgen um Ali.«
»Ja, ich weiß.«
»Ich meine, ich verstehe, was Sie sagen, aber ich kann kaum daran glauben.«
»Hören Sie«, sagte Valenti mit einem Blick auf seine Uhr, »es geht auf sechzehn Uhr zu. Warum geben wir ihr nicht noch eine Frist von dreißig Minuten bis zu einer Stunde; wenn sie dann noch nicht zurück ist, suchen wir sie, okay?«
Frankie wäre am liebsten gleich losgegangen, nickte aber zustimmend. Sie war immer bereit gewesen, Ali viel Freiheit zu lassen - weil Ali damit umgehen konnte. Manchmal mußte Frankie zwar auch mit dem Fuß aufstampfen, um sich durchzusetzen, aber meistens war das nicht nötig. Worin ihre Tochter jetzt auch verstrickt sein mochte, sie schuldete es Ali einfach, daß sie die Dinge auf ihre Weise regelte. Ansonsten würde das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen beiden empfindlich gestört. Doch, bei Gott, es fiel ihr schwer. Wenn sie nur alles genau wüßte, anstatt auf Vermutungen angewiesen zu sein ...
»Augen auf«, sagte Valenti leise.
Frankie sah ihn an und bemerkte dabei aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Im nächsten Moment wußte sie, was ihn zu der Bemerkung veranlaßt hatte. Eine schlampige, völlig verdreckte Gestalt war aus dem Wald getreten und näherte sich ihnen.
Es war das wilde Mädchen, wie Frankie feststellte, als die Gestalt näher kam. Mally. Sie registrierte ihr verhärmtes Aussehen, das wirre Haar mit Kletten und Blättern darin, die abgerissenen Kleider - und dicht unter dem Haaransatz die zwei kleinen Hörner.
Frankie schluckte schwer. Wenn dieses Wesen schon real war, wieso sollte das andere dann nicht real sein? Der Hirsch ...
Das wilde Mädchen kam bis auf ein paar Schritte heran und ließ sich geschmeidig vor ihnen ins Gras sinken. Wie eine Katze, dachte Frankie beim Anblick der ovalen Augen und der gleitenden Bewegungen.
Einen Augenblick lang musterten sich beide. Dann legte Mally ein Geweih vor ihr ins Gras, an dem mit Lederriemen Federn und Perlen befestigt waren. In seine Rinde waren verwirrende Muster hineingeritzt.
»Hallo.« Mally lächelte ihr Katzenlächeln.
»Wo ist Ali?« fragte Valenti und sprach damit die Frage aus, die Frankie auf der Zunge brannte.
»Im Wald«, erwiderte Mally und deutete mit dem Kopf nach hinten. Dabei bewegt sich ihr Haar kaum, so verfilzt war es. »Aber sie hat mich mit einer Nachricht hergeschickt, damit ihr euch keine Sorgen macht. Die Nachricht lautet: ›Macht euch keine Sorgen; ich komme heute abend etwas später zurück.‹«
»Was macht sie denn da draußen?« wollte Frankie wissen.
»Sie
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