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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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ihn nur an. Da war etwas in seinen Augen ...
    Und dann hörte Howie wieder die Musik. Sie hatte einen disharmonischen, unangenehmen Klang. So, als ob jemand mit den Fingernägeln über eine Wandtafel kratzte.
    Fall endlich um, du Scheißvieh, dachte Howie. Aber der Hirsch starrte weiter unentwegt zu ihm herüber.
    Howie zitterte vor Furcht. Er wollte erneut abdrücken, als er einen heftigen Schlag gegen den rechten Arm spürte. Sofort wurde der ganze Arm taub, und die Pistole entglitt seiner kraftlosen Hand. Mit einem dumpfen Aufprall landete sie auf der Straße. Im nächsten Moment explodierte der Schmerz, und Howie stand wie erstarrt. Mit der Linken umklammerte er den Arm und stöhnte laut. Von seinen Fingern tropfte Blut.
    »Ich ... ich bin getroffen«, sagte er zu niemand Bestimmtem und lehnte sich mit weichen Knien an den Wagen - der im gleichen Moment unter dem dritten Ansturm des Bocks heftig schwankte. Bei dem Anprall verstärkte Howie seinen Griff und heulte laut auf, als die nächste Schmerzwelle durch den verletzten Arm schoß. Er sah den Fremden auf der Straße näher kommen, sah, daß er einen Krückstock benutzte und ein Bein nachzog. Er ließ den Arm los und tastete auf der Suche nach dem Türgriff mit seinen blutverschmierten Fingern an der Wagentür entlang, wobei er sich vor Schmerz auf die Lippen biß. Als er ihn endlich fand, stöhnte er vor Erleichterung und riß die Tür auf. In seiner Hast fiel er beinahe in den Wagen.
    »Verschwinden wir«, flehte er Earl an. »Verdammt, Mann, nichts wie weg hier!«
    Doch Earl reagierte überhaupt nicht. Der Hirsch sprang wieder vor, doch auch ihn beachtete Earl nicht. Sein Blick klebte an dem Mann, der sich jetzt dem Wagen näherte.
    »Du bist doch tot«, sagte Earl leise.

    Als der Mann, den Valenti angeschossen hatte, in den Wagen sprang, ging die Innenbeleuchtung an, und Valenti erkannte den anderen hinter dem Steuer. Sofort war ihm klar, daß auch der ihn erkannt haben mußte. Er hieß Shaw ... Ernie Shaw? Ein Schmalspurganove, mit dem sie ein einziges Mal zusammengearbeitet hatten, weil er einen Verbindungsmann in Miami hatte, der der Familie bei dem Deal, den sie gerade vorbereitete, von Nutzen sein konnte. Und Valenti hatte bei diesem Deal als Bevollmächtigter der Familie mit Shaw gearbeitet. Keine Frage, daß dieser Shaw ihn erkannt hatte und sein Wissen sofort an das erste Mitglied der fratellanza verkaufen würde, das ihm über den Weg lief.
    Als er jetzt sein Schießeisen hob, überraschte ihn das Gefühl, das ihn plötzlich überkam. Es war nicht so, daß dieser Dreckskerl seine Strafe nicht aus zahllosen Gründen verdient hätte. Es war auch nicht so, daß Valenti noch nie vorher einen Menschen getötet hätte. Und doch hatte Valenti plötzlich das Gefühl, etwas Falsches zu tun - genau so, wie er vorher das Auftauchen des Hirsches als völlig richtig empfunden hatte. Die Musik verstärkte dieses Gefühl noch. Wenn er aber jetzt nicht sofort etwas unternähme, konnte er ebensogut selbst nach New York zurückgehen und sich dem neuen Don stellen - denn so sicher wie der Tod würden sie hier auftauchen, um ihn sich zu holen.

    »Starte die Kiste!« zischte Earl.
    »Großer Gott, Mann, ich bin ...«
    »Verdammt, jetzt mach schon!«
    Zähneknirschend beugte Howie sich nach vorn und hantierte an den Zünddrähten herum. Bei den ersten beiden Malen orgelte der Motor nur. Earl duckte sich, als Valenti auf ihn feuerte. Das Geschoß durchschlug die Windschutzscheibe und zwitscherte ihm am Kopf vorbei. Beim dritten Versuch sprang der Motor endlich an. Mit dem Fuß auf der Kupplung rammte Earl den ersten Gang hinein und trat das Gaspedal durch.
    Valenti hechtete zur Seite, als der Toyota vorwärtsschoß. Earl riß den Kopf herum und schaute nach hinten, aber es war zu dunkel, um zu erkennen, wo Valenti sich befand. Wenn sie doch endlich den verdammten Psycho-Hirsch vom Hals hätten ...
    Earl trat auf die Bremse und riß hart das Lenkrad herum. Der Wagen schleuderte um die eigene Achse. Steine und Erdreich, von den Reifen hochgeschleudert, prasselten in die Büsche am Straßenrand. Die Scheinwerfer erfaßten Valenti, der sich gerade wieder aufrappelte.
    Hab ich dich! dachte Earl und trat erneut das Gaspedal durch.
    Doch da trat der Hirsch aus den Bäumen hervor und stellte sich beinahe über Valenti, so daß Earl ihm ausweichen mußte. Dabei hörte er wieder das Plopp von Valentis Pistole. Für einen Moment dachte er daran, die Sache hier und jetzt

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