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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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einen Schritt auf ihn zu.
    »Was zur Hölle soll das?« fuhr Earl ihn an. »Nimm gefälligst die Beine in die Hand! Lauf ihr nach!«
    Earl blinzelte, nickte und rannte über den Rasen, folgte den deutlichen Laufgeräuschen des Kindes. Ein gemeines Grinsen huschte über Earls Gesicht, als er den beiden folgte. Das kleine Luder würde dafür bezahlen. Was erlaubte sie sich, ihren alten Herrn zu schlagen?

    Als die Kassette mit der Flötenmusik endete, setzte Valenti sich auf und warf einen Blick auf die Uhr. Es war schon spät - und ungefähr der Zeitpunkt, zu dem die wirkliche Musik aus dem Wald zu seinem Haus herüberdrang. Ali sollte schon längst da sein. Wo steckte sie bloß?
    Er erhob sich und schaltete die Stereoanlage aus, trat vor die Haustür und wartete auf den Stufen. Irgendwie hatte ihre Stimme bei seinem Anruf merkwürdig geklungen, aber er konnte nicht sagen weshalb. Er starrte über die dunklen Felder. Das Mädchen hat gesprochen wie jemand, der einen kleinen Schock erlebt hat, dachte er. Was war da bloß passiert?
    Er kehrte ins Haus zurück und überlegte, ob er nochmals anrufen sollte. Dann beschloß er, ihr auf der Straße entgegenzugehen. Und um das ungute Gefühl zu vertreiben, das ihn beschlich - »Man kann nie vorsichtig genug sein, Tony«, hatte Mario ihm immer wieder eingeschärft -, und ganz auf Nummer Sicher zu gehen, trat er an seinen Stereoschrank und öffnete die linke untere Tür. Dazu benötigte er einen Schlüssel, den er immer bei sich trug, auch wenn er die Kleider wechselte. Jetzt mußte er noch gegen das richtige Brett an der Seite des Schrankes drücken, um das Geheimfach darin aufspringen zu lassen.
    Er schob den doppelten Boden auf. Darunter kam eine Höhlung zum Vorschein, die bis zur Kellerdecke hinunterreichte. Darin waren Gewehre, eine Schrotflinte, eine UZI-Maschinenpistole, ein paar Handfeuerwaffen, Kästchen mit Patronen sowie Ersatzmagazine für die Automatics und die UZI versteckt. Ein feuerfester Metallkasten enthielt gefälschte Papiere und Geld für den Ernstfall. Zehntausend US-Dollar in gebrauchten Scheinen und etliche Tausender in kanadischer Währung.
    Er betrachtete einen Moment lang nachdenklich die Waffen und nahm schließlich eine kleine .32er Automatic aus dem Fach. Er prüfte, ob sie geladen war, schob das Magazin wieder ein und ließ die Waffe in die Tasche seines Anoraks gleiten. Danach verschloß er das Geheimfach und den Schrank und zog den Anorak an. An der Tür griff er nach seinem Spazierstock und humpelte, so schnell es das steife Bein zuließ, in die Nacht hinaus.
    Als er das Flötenspiel vernahm, hatte er sein Grundstück schon verlassen und befand sich auf der Straße. Er registrierte die Musik nicht sofort, weil er den Tag über Alis Band so oft abgespielt hatte, daß die Flötentöne schon zum Bestandteil seiner Gedanken geworden zu sein schienen. Doch als er jetzt stehenblieb, um zu lauschen, und dabei nach den Mücken schlug, die ihm um den Kopf schwirrten, hörte er, wie jemand die Straße heraufgerannt kam. Er wechselte den Krückstock in die linke Hand und schob die andere in die Tasche mit der .32er. Es war nicht nur eine Person, stellte er fest, und schob den Sicherungshebel der Waffe zurück.

    Als Earl die Straße erreichte, wandte er sich nach rechts, statt Howie und seiner Tochter zu folgen. Er rannte zum Toyota, sprang in den Wagen und rieb die Enden der Zündkabel aneinander, die sie herausgerissen hatten, um den Wagen kurzzuschließen. Gleich darauf erwachte der Motor hustend zum Leben.
    Na also, dachte Earl, legte den Gang ein, schaltete die Scheinwerfer an und trat aufs Gas. Der wendige kleine Wagen schoß vorwärts, und die Scheinwerfer stachen in die Dunkelheit wie die Augen eines Drachen. Earl schaltete das Fernlicht ein und jagte den Wagen im zweiten Gang die Straße hoch.

    Ali wäre fast gestorben, als die Scheinwerfer hinter ihr auftauchten und den Mann aus der Dunkelheit schälten, der von Tonys Haus auf sie zukam. Die Motorengeräusche des Wagens übertönten die Musik, doch vernahm sie das Flötenspiel in ihrem Innern. Sie war immer noch der Hirsch, der vor der Hundemeute floh. Sie wollte sich schon seitwärts in die Büsche schlagen, als sie den Mann erkannte, der ihr entgegenkam.
    »Tony!«
    Der Mann zog die Hand aus der Tasche, und das Licht der Scheinwerfer reflektierte auf dem Metall einer Waffe. Er schwenkte sie in ihre Richtung.

    Howie hörte, wie hinter ihm der Wagen gestartet wurde, und nickte beifällig. Gut

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