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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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auszutragen. Doch waren die Voraussetzungen dafür einfach zu ungünstig. Zum einen war da dieser seltsame Riesenhirsch, zum anderen war’s eben Tony Valenti, mit dem er es da draußen zu tun hatte. Er würde Valenti den Jungs von der Familie überlassen. Für ’nen ordentlichen Stapel Scheine würde er sie direkt zu ihm führen. Und dann würde er sich die Rotznase Alice Treasure vorknöpfen.
    »Ich ... ich brauch ’nen Arzt«, stöhnte Howie auf dem Beifahrersitz.
    Earl warf ihm einen wütenden Blick zu. Erst dachte er daran, einfach die Beifahrertür zu öffnen und Howie hinauszustoßen. Doch zum Teufel damit. Der Bursche hatte sein Bestes getan. Es war schließlich nicht Howies Schuld, daß er so ’n Trottel war.
    »Beiß die Zähne zusammen«, brummte er nur. »Zuerst brauchen wir mal ’nen anderen Wagen.«
    »O ... okay, Earl.«
    »Nur nicht schlappmachen, Howie, mein Junge. Es sieht nur so aus, als ob wir schlechte Karten hätten. In Wirklichkeit wird die Sache immer schöner.«
    Grinsend konzentrierte er sich auf die Straße. Als er den Highway 1 erreichte, nahm er die Abfahrt zur 511, die nach Calabogie hineinführte. Hier kannte er ein paar Burschen, die ihm noch einen oder zwei Gefallen schuldig waren. Sie hatten da draußen ein Wochenendhaus. Und da jetzt Wochenende war, wären sie vermutlich auch dort. Wenn nicht ... nun, bestimmt hatten sie nichts dagegen, daß er sich dort für ’ne Zeit einquartierte - wenn sie wollten, daß ihre Eier nach ’nem kurzen Gespräch mit ihm noch an ihrem alten Platz baumelten.

    Valenti richtete sich langsam auf und sah die Rücklichter verschwinden. Er wußte nicht, warum Shaw im letzten Moment ausgewichen war und ihn nicht überfahren hatte, doch mochte er sich darüber kaum beschweren. Er schob die Automatic wieder in die Tasche und griff nach seinem Krückstock.
    Zeit zu verschwinden, dachte er und klopfte sich den Schmutz von den Jeans. Er fragte sich, wieviel Zeit ihm noch dafür blieb. Bis Shaw das nächste Telefon erreichte? Valenti wußte, daß er Shaws Partner getroffen hatte. Vielleicht kümmerte er sich erst um die Schulterverletzung des Freundes. Wieviel Zeit hatte er also? Eine Stunde? Mehr?
    Und dann fiel ihm Ali wieder ein.
    Er sah zu seinem Haus hinüber und stellte fest, daß die Musik verstummt war. Er mußte an den Hirsch denken - was seine Gedanken wiederum auf das eigene Dilemma lenkte. Er müßte unbedingt verschwinden - eigentlich schon gestern -, aber er konnte Ali nicht so einfach alleinlassen. Sie mitnehmen? Unmöglich.
    Während er die Straße zu dem Ort entlanghumpelte, den er in den letzten eineinhalb Jahren sein Zuhause genannt hatte, überlegte er, was er tun sollte. Ganz bestimmt würde er diesen Platz hier vermissen.

KAPITEL DREIZEHN
    Als Valenti hereinkam, saß Ali auf der Couch in der Nähe des Kamins. Sie trug zu den Jeans einen weißen Baumwoll-Pullover und hielt eine Plastiktüte zwischen den Beinen, auf die sie hinunterschaute. Bei seinem Eintreten sah sie nervös auf, senkte aber gleich wieder den Blick.
    »Bei dir alles okay?« fragte Valenti.
    Sie zuckte die Schultern. »Ich denke schon.«
    »Möchtest du darüber reden?«
    Sie nickte und warf ihm einen kurzen Blick zu.
    Valenti lächelte. »Schön, du bleibst da sitzen und ruhst dich aus, während ich uns einen Kakao mache. Was hältst du davon?«
    »Das wäre schön. Soll ich ... soll ich dir helfen?«
    So ist das Mädchen, dachte Valenti. »Klaro! Ich schaffe es nie, daß sich das Kakaopulver richtig auflöst, und ich hasse es, wenn beim Trinken Kakaoklümpchen in der Milch schwimmen. Du verstehst, was ich meine?«
    Ihr Mund verzog sich zu einem schwachen Lächeln.
    »Na, dann geh schon mal vor.«
    Er wartete, bis Ali ihre Büchertasche beiseite gelegt hatte und in der Küche verschwunden war. Dann nahm er schnell die .32er aus der Anoraktasche und schob sie in die Tasche eines Sportsakkos, den er anzog.
    »Der Kakao steht im Schrank rechts oben im zweiten Fach«, sagte er, als er in die Küche trat. »Kommst du dran?«
    »Ich denke schon.«
    »Gut. Dann hole ich jetzt die Milch.«

    Die Kühle, die in der Luft hängt, paßt ebensogut zu den vorausgegangenen Ereignissen wie zum aktuellen Wetter, dachte Valenti. Deshalb hatte er ein Feuer im Kamin angezündet. Jetzt saßen sie davor, tranken ihren Kakao und unterhielten sich. Ali berichtete ihm, was alles am Nachmittag passiert war - warum ihre Mutter in die Stadt gefahren und wie sie selbst dem wilden Mädchen begegnet

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