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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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Papale.
    »Sicher, aber ...«
    »Erinnerst du dich daran, daß ich dir einmal erzählt habe, ich sei ein Soldat?«
    Ali nickte.
    »Also, diese Armee, in der ich diente, war nicht gerade glücklich darüber, daß ich ausstieg, und hat ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt. Doch ich bin abgetaucht. Dieser Ernie Shaw - er hat ...«
    »Oh, Jesus!«
    »Was ist?«
    »Du hast gerade den Namen meines Vaters genannt. Aber er heißt nicht Ernie, sondern Earl.«
    »Earl«, murmelte Valenti. Ja, das kam hin.
    »Also ist er tatsächlich mein Vater.«
    Valenti nickte. »Egal. Jedenfalls hat mich dieser Bursche erkannt und wird meinen Aufenthaltsort sicher an die Leute weitergeben, für die ich gearbeitet habe. Verstehst du? Und das heißt, daß sie wieder Jagd auf mich machen werden.«
    »Tony - in was für einer Armee bist du gewesen?«
    Obwohl er ihr schon einiges verraten hatte, obwohl das Gesetz des Schweigens, die omerta , eigentlich keine Gültigkeit mehr für ihn haben konnte, hielt ihn sein Eid davon ab, ihr alles zu erzählen.
    »Das spielt keine Rolle. Es war eine Familienangelegenheit, sonst nichts. Aber sie sind hinter mir her, und deswegen habe ich auf Shaw geschossen. Weil er entkommen ist, muß ich jetzt auch verschwinden.«
    »Aber ...«
    »Ich kann nicht bleiben, Ali. Wenn ich bleibe, bin ich ein toter Mann.«
    Sie sah ihn lange an. »Du kannst dir sicher denken, wie sich das alles anhört, nicht wahr?« meinte sie schließlich.
    »Wie denn?«
    »Es hört sich an wie das Drehbuch eines billigen B-Kinostreifens. Jetzt fehlt nur noch, daß Jimmy Cagney durch deine Eingangstür hereinspaziert kommt.«
    »Ich mache keine Scherze, Ali.«
    »Ich weiß. Ich lache ja auch nicht. Kannst du nicht einfach die Polizei rufen, Tony?«
    »Bist du verrückt? Wenn ich bleibe ...«
    »Und wenn du gehst, wohin gehst du dann?«
    »Das wird sich finden.«
    Ali schüttelte den Kopf. »Tony, ich bin vielleicht nur ein Kind. Trotzdem weiß ich, daß keiner so leben kann - immer auf der Flucht. Weißt du noch, was du mir gerade eben gesagt hast? Hast du nicht selbst gesagt, daß niemand einen aufhalten kann, wenn man nur stark genug etwas will?«
    »Sicher, aber ich allein gegen eine Menge schießwütiger Burschen ...«
    »Dann hol Hilfe.«
    Valenti wollte seinen Ohren kaum trauen. Da versuchte er, sie zu beruhigen, und dieses Kind drehte den Spieß einfach um und gab ihm statt dessen gute Ratschläge. Vielleicht war sie wirklich noch unerfahren, doch an ihren Worten war was dran.
    »Bist du sicher, daß du nicht eine vierzigjährige Jungfer mit geliftetem Gesicht bist?«
    »Was?«
    »Du bist mir schon ein seltsames Kind, weißt du das?«
    Ali senkte den Blick und errötete.
    »Nein, das meine ich ernst. Es gibt nicht viele Leute, die noch lächeln könnten, wenn sie das hinter sich hätten, was du heute erlebt hast.«
    Es folgte ein ausgedehntes Schweigen. Dann sah Ali ihn ernst an. »Tony, dieser Hirsch ... es war, als wollte er mich retten.«
    »Ich weiß.«
    »Es hat was mit der Musik zu tun.«
    »Das glaube ich auch.«
    »Tony, was hat das alles zu bedeuten?«
    Valenti schüttelte bekümmert den Kopf. »Ich weiß es nicht, Ali. Ich wünschte, ich wüßte es, aber ich komme einfach nicht dahinter.«

    Etwa eine Stunde später hatte Valenti Ali in seinem Gästezimmer ins Bett gesteckt und starrte aus seinem Sessel im Wohnzimmer auf das Telefon. Zwar hatte Ali protestiert, sie sei nicht müde, doch als er sie schließlich in ihr Zimmer schickte, gähnte sie so ausgiebig, daß sie doch nachgab. Er war bei ihr am Bett sitzengeblieben, bis sie einschlief, und hatte dann leise das Zimmer verlassen.
    Unten holte er zuerst seine Waffen aus ihrem Versteck, überzeugte sich, daß sie geladen waren und einwandfrei funktionierten, und deponierte sie an den strategisch wichtigen Punkten um das Haus herum. Den Plan für einen solchen Ernstfall hatte er schon lange zuvor genau durchdacht und ausgearbeitet. Zwar hatte er immer vorgehabt, einfach zu verschwinden, doch war es besser, auf jede Situation vorbereitet zu sein. Er versteckte die Waffen an Stellen, wo er leicht an sie herankam und Fremde sie nicht finden konnten, wenn sie nicht danach suchten. Und jetzt saß er in seinem Sessel und starrte das Telefon an.
    Lange saß er dort und ließ noch einmal die Ereignisse des Tages Revue passieren - angefangen vom Flötenspiel über den Hirsch und Alis gehörntes Mädchen, dem er selbst wahrscheinlich an jenem anderen Abend begegnet war, bis zu Earl Shaw

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