Grünmantel
Morgen seufzte Ali erleichtert auf und entspannte sich wieder.
Sie gab ihrer Mutter einen leichten Kuß und verließ das Zimmer. Sie öffnete und schloß die Tür zum Gästezimmer laut genug, damit Tony merkte, daß sie wach war, und stieg die Treppe nach unten.
Tony stellte sie seinem Freund vor. Sie goß sich eine Tasse Kaffee ein, goß reichlich Milch hinzu und süßte ihn mit ein paar Löffeln Zucker. Dann setzte sie sich zu den beiden Männern an den Tisch.
»Tony«, begann sie zögernd mit einem kurzen Seitenblick auf Bannon, »hast du gestern abend noch mit meiner Mom gesprochen?«
Valenti nickte.
»Wie geht es ihr?«
»Nicht so gut. Aber wir haben uns einige Zeit unterhalten, und ich denke, sie fühlte sich etwas besser, als sie schlafen ging. Sie hatte einen schweren Tag hinter sich. Vielleicht sollten wir sie deshalb noch etwas schlafen lassen.« Er schwieg kurz und fragte dann: »Und wie geht es dir selbst, Ali?«
Ali dachte an den vergangenen Abend, daran, was mit ihr geschehen wäre, wenn Tony nicht rechtzeitig aufgetaucht wäre ...
Keine schöne Vorstellung. Hätte sie sich einen Vater aussuchen können, hätte sie Tony jederzeit Earl Shaw vorgezogen. Und der Hirsch? fragte sie sich, als der Traum einen kurzen Moment wieder vor ihrem inneren Auge auflebte.
»Ali?«
Sie schaute auf. »Es ist wirklich zum Fürchten, Tony. Warum läßt er uns nicht einfach in Ruhe?«
»Manche Burschen ...«, begann Tony und seufzte. »Ich weiß es nicht, Ali. Das Geld, das deiner Mutter nach der Instandsetzung eures Hauses noch übriggeblieben ist ... Es ist ’ne Menge Geld, über das wir da reden. Manche Burschen tun alles für Geld und schrecken vor nichts zurück.«
Ali nickte unglücklich und rührte mit dem Löffel in ihrer Kaffeetasse herum. Sie hätte gern mehr über Tom Bannon erfahren, damit sie wußte, worüber sie reden konnten und worüber nicht.
»Tony hat mir erzählt, daß du sehr gern liest«, meinte Bannon.
Ali warf ihm einen Blick zu. »Ja, das kann schon sein.«
»Ich lese auch gern, habe aber vergessen, ein paar Bücher mitzunehmen, als ich meine Sachen packte, um hierherzufahren.«
»Was für Bücher lesen Sie?«
»Abenteuerromane, Thriller - alles, was ein bißchen spannend ist.«
»Ich kann Ihnen ja ein paar Bücher leihen, wenn Sie wollen.« In Ali erwachte das Interesse. »Haben Sie schon mal was von Tony Hillerman gelesen?«
Valenti nickte beifällig, als Bannon Ali in ein Gespräch verwickelte. Ein guter Schachzug. Lenk ihre Gedanken ab von all dem Mist, der sich ringsherum auftürmt! Langsam mußte er etwas unternehmen, das wurde ihm allmählich klar. Zuerst mußte er Ali und ihre Mutter hier wegbringen. Und dann ... und dann standen ihm noch der Ärger ins Haus, den Ricca und Shaw ihnen machen würde.
»Nein«, sagte Frankie.
Sie hatten gemeinsam gefrühstückt, nachdem sie aufgestanden war. Ali und Bannon waren zum Treasure-Haus gegangen, um ein paar Bücher auszuwählen, und gaben Valenti so die Möglichkeit zu dem Versuch, Frankie zu einem kurzen Urlaub zu überreden. Doch sie wollte davon nichts wissen.
»Vielleicht haben Sie mich nicht richtig verstanden«, meinte Valenti.
»Oh, ich verstehe sehr gut. Großer Gott, ich habe schließlich mit dem Mann gelebt, oder? Aber ich habe mir geschworen, nicht mehr davonzulaufen. Zu viele Jahre habe ich vor Earl Angst gehabt, Tony. Es wird langsam Zeit, daß ich die Sache ein für allemal zu Ende bringe.«
Was konnte er darauf schon erwidern? Daß es hier nicht nur um Shaw ging? Er beschloß, einen anderen Weg zu versuchen.
»Was ist mit Ali?« fragte er.
»Das ... das ist etwas, womit wir beide leben müssen«, meinte Frankie nach einem Moment des Zögerns. »Ich muß gestehen, ich war gestern in einer schlechten Verfassung, als Sie diesen Vorschlag machten, und bin sofort darauf eingestiegen. Ich hatte Angst - hauptsächlich um Ali, aber auch um mich. Doch ich will nicht immer einen Mann um Hilfe bitten müssen. Können Sie das verstehen, Tony? Ich muß meinen eigenen Weg gehen, und Ali muß lernen, ebenso zu denken und handeln.«
Valenti schüttelte den Kopf. »Die Menschen müssen sich gegenseitig helfen, was bleibt uns denn sonst? Ein Mann hilft einer Frau - eine Frau hilft einem Mann. Wo ist da der Unterschied?«
»Es sollte keine Unterschiede geben, aber es gibt sie.«
Frankie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Valenti fragte sich unwillkürlich, wie es sein mochte, diese Locken zu berühren ...
Frankie sah ihn
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