Grundlagen Kreatives Schreiben (German Edition)
fühlt und denkt. Der personale Erzähler kann aber nicht aus der Distanz auf die Figur blicken und kann auch nichts mitteilen, was die Figur nicht weiß.
Beispiel für die personale Erzählperspektive
Ein bekanntes Beispiel für die personale Erzählperspektive findet man in Franz Kafkas „Die Verwandlung“:
„ Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglichen dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen."Was ist mit mir geschehen?” dachte er. Es war kein Traum. “
Einschränkungen des personalen Erzählers
An diesem Beispiel kann man gut erkennen, was es bedeutet, dass der personale Erzähler sich auf das beschränken muss, was die Figur wahrnehmen kann. Wir erfahren nicht, wie es von außen aussieht, wenn der Käfer im Bett liegt, sondern die Rede ist davon, wie seine Beine “ihm hilflos vor den Augen” flimmern und davon, was er erkennen kann, “wenn er den Kopf ein wenig hob”. Der personale Erzähler ist also in dem, wovon er berichten darf, eingeschränkt, dafür sind seine Schilderungen aber viel eindringlicher als die eines allwissenden Erzählers, denn er bringt die Leser viel näher an die Figur heran. Die Leser und die Figur verfügen über den gleichen Informationsstand, bei Kafkas Beispiel wissen wir genauso wenig wie Gregor, was mit ihm geschehen ist, was das soll und wann es wieder vorbei geht. Leser und Figur machen also die gleichen Erfahrungen durch und dadurch gehen die Leser eine enge Beziehung mit der Figur ein.
Beschreibungen des personalen Erzählers
I n der Praxis ist noch zu beachten, dass man bei Beschreibungen auch lediglich das wiedergibt, was die Figur, deren Perspektive man einnimmt, auch wahrnimmt. Diese Wahrnehmung wird von zwei Aspekten bestimmt:
1. Von dem, was sie in dem Moment will. Wenn man beispielsweise ein Polizeirevier betritt, weil das eigene Kind seit drei Stunden vermisst wird, hat man einen anderen Blick auf den Raum und nimmt ihn anders wahr, als ob man dort lediglich den Führerschein abholt, den man vor einem Monat abgeben musste.
2. Jeder Mensch, also auch jede Figur, hat eine eigene Prägung, jeder achtet auf unterschiedliche Dinge. Dem einen fällt bei anderen Menschen zuerst die Stimme auf, der andere sortiert seine Mitmenschen nach deren Kleidung ein. Einem Optiker, Zahnarzt und einem Hausmeister fallen wahrscheinlich unterschiedliche Dinge bei einem ersten Kennenlernen auf oder sie bewerten die Dinge anders. Auch die Figur, von die der personale Erzähler berichtet, sollte ihre eigenständige Wahrnehmung besitzen.
Wann sich die personale Erzählperspektive empfiehlt
Die personale Erzählperspektive kann man gut für Geschichten verwenden, die einen linearen Handlungsverlauf haben mit nur wenigen Nebenzweigen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Figur, die man übrigens den Perspektivträger nennt, muss alles wissen, was erzählt wird, bei verzweigten Handlungen mit vielen Nebenplots wird es schwierig, die Figur entweder überall anwesend sein zu lassen oder sie sonstwie mit den für die Erzählung notwendigen Informationen zu versorgen.
Die Multiperspektive
Der Perspektivträger muss nicht zwangsläufig die Hauptfigur der Geschichte sein, obwohl sie es sehr oft ist. Bei Kurzgeschichten und Erzählungen gibt es immer nur einen personalen Erzähler, bei Romanen ist es auch möglich eine sogenannte Multiperspektive zu verwenden, was bedeutet, dass es zwei oder drei Perspektivträger gibt. Die Figuren sollten eine sehr unterschiedliche Sichtweise auf die Geschichte haben, damit die Aufteilung der Perspektive auch einen Gewinn für das Erzählen birgt. Innerhalb eines erzählerischen Abschnitts, wie einer Szene oder einem Kapitel, darf die Perspektive nie gewechselt werden, denn das würde die Leser verwirren und sie aus ihrem “fiktionalen Traum” herausreißen.
Der Unterschied zum Ich-Erzähler
Der personale Erzähler ist dem Ich-Erzähler in vielem ähnlich, dieser muss jedoch über eine starke Stimme verfügen, die auch viel über seinen Charakter verrät. Kann
Weitere Kostenlose Bücher