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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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›Feind‹ ganz und gar abgelehnt wurde. Und doch mußte
     sie auch noch ihren Polen und ihren Russen vorführen, oder besser gesagt zum Fraß hinwerfen, und da war kein Urteil unter
     ›Kopf kürzer machen‹. Im engeren Familienkreis, wenn man die Hoysers und Marja hinzunimmt, waren die Auskünfte natürlich offener,
     ehrlicher, nicht so politisch. Marja war erstaunlicherweise sogar für Polen, weil sie ›schneidige Offiziere‹ in ihnen sah,
     Franzosen fand sie ›verderbt‹, Engländer als ›Liebhaber wahrscheinlich unbrauchbar – Russen undurchsichtig‹. Lotte war der
     gleichen Meinung wie ich, daß das alles Stuß, bzw. in meiner Ausdrucksweise Stöz war. ›Ein Mann ist ein Mann‹, war ihr Kommentar,
     und Lotte stellte fest, daß Marja und ihre Schwiegereltern zwar nicht frei von nationalen, aber völlig frei von politischen
     Vorurteilen waren. Franzosen wurden als sinnlich, aber blutsaugerisch, Polen als charmant und temperamentvoll, aber treulos,
     Russen als treu, treu, sehr treu bezeichnet – aber in der gegenwärtigen Situation hielten alle, auch Lotte, es ›für mindestens
     gefährlich, mit einem westlichen, für lebensgefährlich, mit einem östlichen Europäer was anzufangen‹.«
     
    Lotte H.: »Einmal, als sie wieder mal bei uns war, um mit meinem Schwiegervater Geldgeschäfte zu machen, habe ich Leni überrascht,
     wie sie im verschlossenen Badezimmer nackt vor dem Spiegel stand, die Straffheit ihres Körpers begutachtete; ich warf ihr
     von hinten ein Badetuch über, und als ich nähertrat, wurde Leni knallrot – ich habe sie nie vorher erröten sehen –, und ich
     hab ihr die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: ›Freu dich doch, daß du |286| noch mal einen lieben kannst, wenn du den einen überhaupt geliebt hast, vergiß den miesen Freier. Ich kann meinen Willi nicht
     vergessen. – Nimm ihn, und wenns ein Engländer ist.‹ So naiv war ich ja nun nicht, daß ich nicht damals, im Februar 44, schon
     geahnt hätte, daß was mit einem Mann, und wahrscheinlich mit einem Ausländer, im Gang war, als sie mit ihren komischen künstlichen
     Geschichten rausrückte. Offen gesagt, von einem Russen oder Polen oder Juden hätte ich ihr dringend, ganz dringend abgeraten:
     da stand der Kopf auf dem Spiel, und ich bin heute froh, daß sies mir nicht erzählt hat. Es war ja gar nicht gut, zuviel zu
     wissen.«
     
    Margret: »Sogar Pelzer war bei Lenis erster Truppenbesichtigung als möglicher Verbündeter übriggeblieben. Der Grundtsch wäre
     in Frage gekommen, der quatschte aber zuviel. Nun kam die zweite Truppenbesichtigung, und wieder war nur ich die einzig Sichere,
     als es um Lenis Schwangerschaft und deren Folgen ging. Schließlich nahmen wir Pelzer als eine Art strategische Reserve ins
     Auge, strichen den älteren Landesschützen, der Boris meistens zum Betrieb brachte, weil er ein Kledagenfummler und Schwätzer
     war, und faßten diesen forschen Boldig ins Auge, den ich hin und wieder noch traf und dessen Geschäft blühte – nicht mehr
     lange übrigens, der übertrieb es, der wurde dann im November 44 geschnappt – mit seinem ganzen Formular- und Papierwarenladen
     – und kurzerhand hinterm Bahnhof erschossen, wo sie ihn bei einer Transaktion schnappten, der fiel also aus, leider auch mit
     seinen Soldbüchern.«
     
    Hier müssen ein paar sittengeschichtlich wichtige Bemerkungen gemacht werden, damit Leni und Margret Gerechtigkeit widerfährt.
     Genaugenommen war Leni nicht einmal Witwe, sie war die trauernde Hinterbliebene von |287| Erhard, mit dem sie Boris gelegentlich sogar verglich. »Beide Dichter, wenn du mich fragst, beide.« Für eine zweiundzwanzigjährige
     Frau, die ihre Mutter, ihren Liebsten Erhard, ihren Bruder, ihren Mann verloren, die ungefähr zweihundert Bombenalarme und
     mindestens einhundert Bombenangriffe hinter sich hatte, die sich ja nicht nur mit ihrem Mann in Kapellen von Familiengruften herumtrieb, sondern morgens um halb sechs aufstehen, sich vermummt zur Straßenbahn
     begeben, zur Arbeit fahren mußte, durch verdunkelte Straßen – für diese junge Frau muß das möglicherweise matt noch im Ohr
     nachklingende Siegergeplauder von Alois wie ein immer schwächer werdender sentimentaler Schlager gewesen sein, nach dessen
     Melodie man vor ungefähr zwanzig Jahren mal eine Nacht getanzt haben mag. Leni war – und das gegen alle Erwartung und gegen
     die Umstände – provozierend fröhlich. Die Menschen um sie herum waren kleinlich,

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