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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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aber auf dem Friedhof in den Grüften: das war doch eine verdächtige Position, und
     schließlich wußte man doch gar nicht mehr recht, als was man nun am sichersten war – als versteckte Jüdin, als versteckte
     Separatistin, als nicht desertierter deutscher Soldat oder als desertierter, als entsprungener Häftling oder nicht entsprungener,
     und es wimmelte ja von Deserteuren in der Stadt, und in deren Nähe wars gar nicht gemütlich, da wurde rasch geschossen, von
     beiden Seiten. Dieselbe Angst hat Grundtsch gehabt, der doch den Friedhof sozusagen seit vierzig oder fünfzig Jahren nicht
     verlassen hat; jetzt, so Mitte Februar 45, verließ er ihn |323| und verzog sich für eine Weile aufs Land, und letzten Endes ist er sogar noch irgendwo zum Volkssturm gegangen, und er hatte
     recht: für diese Weile war irgendeine Form der Legalität der beste Schutz, und meine Devise war – nur jetzt keine Extravaganzen.
     Sich mit halbwegs guten Papieren irgendwo ducken, den Kopf einziehen und warten. Ich habe ganz bewußt, und es ist mir schwergefallen,
     das sage ich Ihnen, denn da gab es Sachen, von denen wir nicht mal zu träumen riskierten – ganz bewußt habe ich an der Plünderung
     nicht teilgenommen, denn das war natürlich illegal, darauf stand die Todesstrafe, und als geplündert wurde, herrschten die
     Deutschen noch offiziell über die Stadt, und ich wollte nicht einmal zwei, drei oder vier Tage herumlaufen mit einem solchen
     Vergehen am Hals. Ich wollte leben, leben – ich war einundvierzig Jahre alt und wollte leben, und dieses Leben wollte ich
     nicht in den letzten Tagen noch aufs Spiel setzen. So verhielt ich mich mucksmäuschenstill und wagte nicht mal drei Tage vor
     dem Einmarsch der Amerikaner, davon zu sprechen, daß der Krieg zu Ende oder gar verloren sei. Es stand ja schwarz auf weiß
     seit Oktober auf den Plakaten und Flugblättern, daß das gesamte deutsche Volk unerbittlich die gerechte Sühne fordern würde,
     für Panikmacher, Defaitisten, Miesmacher, Handlanger des Feindes – und diese Sühne hatte nur einen Namen: Tod. Die wurden
     doch immer wahnsinniger: irgendwo haben sie eine Frau erschossen, die ihre Bettwäsche noch mal gewaschen und zum Trocknen
     aufgehängt hatte, dachten einfach, die habe die weiße Fahne gehißt und haben sie erschossen – einfach mit dem MG ins Fenster
     rein. Nein, lieber noch ein bißchen hungern und warten, das war meine Parole, diese wilde Plünderei am Zweiten nach dem Angriff
     – das war mir zu gefährlich, und es war lebensgefährlich, das Zeug auch noch auf den Friedhof zu schleppen; immerhin war die
     Stadt noch in deutscher Hand und sollte verteidigt |324| werden. Als die Deutschen endlich weg waren, da gabs kein Zögern mehr für mich. Sofort zu den Amerikanern, sofort Verbindung
     zu meinen französischen Freunden; eine kleine, hübsche Wohnung habe ich mir zuteilen lassen und die erste Gärtnereilizenz
     bekommen. Solange der alte Grundtsch noch nicht da war, habe ich seine Anlagen benutzt und korrekt eine Pacht für ihn auf
     ein Konto gezahlt, und als er 46 zurückkam, habe ich ihm seinen Betrieb korrekt und in guter Ordnung übergeben und meinen
     eigenen Laden aufgemacht, und dann kam schon im August 45 der gute Pelzer und brauchte doch seinen Persilschein, obwohl er
     alles so schlau angefangen hatte, und wer hat ihm den Persilschein gegeben? Wer hat vor der Spruchkammer für ihn gesprochen?
     Leni und ich. Ja, wir haben ihn reingewaschen, und ich habs gegen zwei Überzeugungen getan: gegen mein Gewissen, weil ich
     ihn trotz allem für einen Schurken hielt, und gegen meine geschäftlichen Interessen, denn er wurde doch naturgemäß mein Konkurrent,
     und das ist er bis Mitte der fünfziger Jahre geblieben.« Die Auskunftsperson Hölthohne sah plötzlich sehr alt aus, verfallen
     fast, die bis dahin straffe Gesichtshaut plötzlich lose, unsicher die Hand, die mit dem Teelöffel spielte, zittrig, fast bebend
     ihre Stimme. »Bis heute nicht bin ich mir klar darüber, obs recht war, ihn reinzuwaschen – und durch die Spruchkammer zu bringen,
     aber ich war, wissen Sie, ich war von meinem neunzehnten Lebensjahr an bis zu meinem zweiundvierzigsten Lebensjahr eine verfolgte
     Person, seit dieser Schlacht am Ägidienberg, bis die Amerikaner einrückten, zweiundzwanzig Jahre lang verfolgt, politisch,
     rassisch, wie Sies wollen – und ich hatte mir den Pelzer bewußt ausgesucht, weil ich dachte, bei einem Nazi bist du am sichersten,
     und bei

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