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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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denken Sie, sie hat
     ihren Boris gefunden, ihren Jendritzki, ihren Koltowski, ihren Bullhorst – suchen Sie sich einen Namen aus. Sie hat ihn gefunden,
     auf dem Friedhof hat sie ihn gefunden und nicht in einem Sowjetparadies in den Grüften, nein, in einem Grab, tot, verunglückt,
     tödlich, in einer Minette-Grube zwischen Metz und Saarbrücken in einem lothringischen Kaff – und sie war gerade dreiundzwanzig
     geworden und, wenn Sie’s genau nehmen, zum drittenmal Witwe. Seitdem ist sie nun wirklich zur Statue geworden, und es überlief
     uns heiß und kalt, wenn sie |316| dem Kind abends vorsang, was sein Vater doch so geliebt hatte:
    Der Ahnen Marmor ist ergraut
    Wir sitzen heute so herum
    Als wie das finstere Heidentum
    Der Schnee fällt kalt auf unser Gebein
    Der Schnee will unbedingt herein
    Komm Schnee zu uns herein, kein Wort:
    Du hast im Himmel auch kein Ort ...
     
    Und dann plötzlich mit einer frechen Stimme: ›Auf nach Mahagonny, die Luft ist kühl und frisch. Dort gibt es Pferd- und Weiberfleisch,
     Whisky und Pokertisch, schöner grüner Mond von Mahagonny leuchte uns, denn wir haben heute hier unterm Hemde Geldpapier für
     ein großes Lachen deines großen dummen Mundes‹ – und plötzlich dann mit einer Feierlichkeit, daß es einen gruseln konnte,
     mit hocherhobener Stimme: ›Da ich ein Knabe war, rettet ein Gott mich oft vom Geschrei und der Rute der Menschen, da spielt
     ich sicher und gut mit den Blumen des Hains, und die Lüftchen des Himmels spielten mit mir, und wie du das Herz der Pflanzen
     erfreust, wenn sie entgegen dir die zarten Arme strecken, so hast du mein Herz erfreut.‹ Das werde ich in fünfzig Jahren noch
     auswendig wissen, so oft, fast jeden Abend und am Tag mehrmals haben wir das alles gehört, und Sie müssen sich vorstellen:
     das von der Leni in einem strengen, hochgestelzten Hochdeutsch, wo sie doch sonst nur ihr herrliches, trockenes Rheinisch
     sprach. Ich sage Ihnen, das sitzt, das sitzt, und das saß auch dem Jungen, ihm saß es, uns allen, sogar der Margret, und mancher
     ihrer englischen und amerikanischen Freunde konnte sich nicht satt sehen und satt hören, wenn die Leni da rezitierte und sang,
     und besonders wenn sie das Rheingedicht ihrem |317| kleinen Jungen vorsprach ... nun, sie ist ein großartiges Mädel gewesen und eine großartige Frau, und ich finde, auch eine
     großartige Mutter, daß es mit dem Jungen letzten Endes doch schiefging, da ist nicht sie, da sind die Schurken schuld, zu
     denen ich auch meine mißratenen Söhne zählen muß, die ›vereinigten Hoysers‹ – und daß die so böse sind, besonders der alte,
     mein Schwiegervater; den hat der Hubert fix und fertig gemacht, wenn er kam und seine Miete kassierte, seine sechsundvierzig
     Mark fünfzehn für unsere drei Zimmer – da hat der Hubert jedesmal gelacht, wie ein Teufel hat er gelacht, jedes-, jedesmal
     –, bis sie letzten Endes nur noch schriftlich miteinander verkehrten, und es kam das übliche Spießerargument vom alten Hoyser,
     Miete sei eine Bringschuld, keine Abholschuld – nun, da hat der Hubert ihm eben jeden Monatsersten die Miete in seine Villa
     da draußen im Westen gebracht – und da konnte er ja auch teuflisch lachen, bis der alte Hoyser es nicht mehr aushielt und drauf bestand, die Miete geschickt
     zu bekommen. Da fing Hubert einen Prozeß an, ob die Miete eine Bring-, eine Abhol- oder eine Schickschuld sei – man könne
     ihm nicht zumuten, die zehn oder zwanzig Pfennig für die Postanweisung oder auch nur für eine Überweisung aufs Postscheckkonto
     aufzubringen, er sei doch als Hilfsarbeiter beschäftigt, was ja zutraf. Nun, sie sind tatsächlich vor Gericht miteinander
     gegangen, und der Hubert hat den Prozeß gewonnen, Hoyser konnte sich jetzt also aussuchen, ob er bei uns oder bei sich zu
     Hause das teuflische Lachen zu hören bekam: das hat er nun vierzig Monate jeden Ersten gehört, bis er endlich auf die Idee
     kam, einen Verwalter zu bestellen – aber ich sage Ihnen, dieses teuflische Lachen sitzt Hoyser heute noch in den Knochen,
     und es ist die Leni, die jetzt dafür bezahlen muß; die piesackt er bis aufs Blut, die läßt er rausschmeißen, wenn wir nicht
     was unternehmen. (Seufzen, Kaffee, Zigarette – siehe |318| vorne –, Streichen übers ergraute, kurzgeschorene Haar.) Für uns wars eine glückliche Zeit bis 48, bis Hubert Gruyten auf
     diese entsetzliche Weise tödlich verunglückte – es war Irrsinn, und ich kann seitdem

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