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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Boris da irgendwo Kränze wand und Blumen arrangierte
     und Schleifen heraussuchte. Und manchmal lagen da zwischen den Trümmern zertrümmerte Küchenschränke und Büfetts, und manchmal |350| war ja noch was drin, was man brauchen konnte, und es gab natürlich Glückszufälle, wo mal nicht gerade der Posten hinguckte, wenn man was zu essen fand, und Tage, an denen das Glück dreistöckig wurde: was gefunden, kein Posten hingeguckt und nicht gefilzt.
     Wenn einer geschnappt wurde, dem gings dreckig: nicht mal die Deutschen durften ja was einstecken, und wenn man da als Russe
     was einsteckte – nun, dem gings wie Gavril Ossipovič und Alexej Ivannovič, die wurden zur Bestrafung der SS überstellt, und
     dann gings Krrr – Krrr. – Am besten wars ja, wenn man was fand, es gleich wegzufressen, und da mußte man vorsichtig kauen,
     denn es war ja nicht verboten, bei der Arbeit zu essen, weil man das gar nicht zu verbieten brauchte – aber wie kam denn so
     einer wie wir überhaupt an was zu fressen? Der mußte das doch gestohlen haben. Wir hatten ja Glück mit unserem Stalagmajor,
     der gab uns Arrest, wenn wir mal gemeldet wurden, und nur wenn der Feldwebel drauf bestand, einen der SS zu überstellen, tat
     ers, und immerhin bestand er drauf, daß wir wenigstens korrekt unsere Rationen bekamen. Ich hab selbst mitgehört, als ich
     gefilzt wurde, wie er mit irgendeiner vorgesetzten Behörde telefonierte und sich mit jemand darüber stritt, ob unsere Arbeit
     als nennenswert zu bezeichnen sei; bei nennenswerter Arbeit bekamen wir nämlich ungefähr 320 Gramm Brot, 22 Gramm Fleisch, 18,5 Gramm Fett
     und 32 Gramm Zucker pro Tag, bei nicht nennenswerter Arbeit warens nur 215 Gramm Brot, 15 Gramm Fett und Fleisch und ungefähr
     21 Gramm Zucker – der stritt sich ganz schön mit irgend jemand da in Berlin oder Düsseldorf rum, um unsere Arbeit als nennenswert
     durchzukriegen; immerhin, mein Lieber, immerhin – das bedeutete 100 Gramm Brot, 3,5 Gramm Fett, 7 Gramm Fleisch und 11 Gramm
     Zucker mehr oder weniger –, das war ein energischer Mensch, dieser Major, der hatte einen Arm, ein Bein und |351| ein Auge weniger als eigentlich zu einem kompletten Menschen gehört. Der brüllte da schön rum, während ich gefilzt wurde,
     und später hat er uns regelrecht das Leben gerettet, uns zwölf Hinterbliebenen im Lager. Dreißig waren nämlich schon abgehauen,
     während der schweren Angriffe, hatten sich in die Trümmer verkrochen oder nach Westen den Amerikanern entgegen auf den Weg
     gemacht, angeführt von unserem unermüdlichen Viktor Genrichovič – wir haben nichts mehr von ihnen gehört, und wir, einschließlich
     Boris, der frohgemut auf seinen Abmarsch in seine Gärtnerei wartete, wurden also eines Morgens wach und stellten fest, daß
     unsere gesamte Wachmannschaft einmütig und geschlossen von der Fahne gegangen war; kein Posten mehr, die Wachstube offen,
     das Gatter offen, nur der Stacheldraht war noch da – und der Blick, den wir hatten, war genauso wie der von hier, von der
     Terrasse aus: Bahnschienen, Gartenlauben, Kiesgrube, Schrottlager – da saßen wir also da mit unserer Freiheit, und ich sage
     dir, das war ein beschissenes Gefühl. Wohin mit der Freiheit und wohin in der Freiheit: eine Lebensversicherung war das nicht,
     als freigelassener sowjetischer Kriegsgefangener so einfach in die Gegend zu rennen – und was die Wachmannschaft da gemacht
     hatte, war ja kein offizielles, nur ein privates Kriegsende, und wahrscheinlich haben sie von denen noch ein paar geschnappt, aufgehängt oder an die Wand gestellt. Wir hielten eine Beratung ab und kamen zu dem Ergebnis,
     das Stalag über den Tatbestand zu informieren; wenn dieser Major nicht auch von der Fahne gegangen war, würde er uns helfen,
     diese in diesem Augenblick höchst unangebrachte und lebensgefährliche Freiheit wieder loszuwerden – es war sinnlos, einfach
     loszurennen und der nächsten Streife, den Kettenhunden, in die Arme; es gibt nämlich eine sehr einfache Methode, Menschen
     loszuwerden, die zu bewachen, einzusperren, zu verurteilen |352| ziemlich lästig ist: man erschießt sie, und daran lag uns, wie du vielleicht verstehen wirst, nicht sehr viel. Nun hörten
     wir schon manchmal die Artillerie, und das klang nach ein bißchen richtiger Freiheit – aber einfach so freigelassen zu sein,
     das war uns zu riskant. Die Aktion von Viktor Genrichovič war genau vorbereitet, mit Landkarten und Lebensmitteln und ein
     paar Adressen,

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