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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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ich sage Ihnen, sogar die atheistische Lotte hat da ihr Vaterunser gemurmelt, das Boris uns vorsprach,
     sogar die kleinen Hoyser-Schurken waren still, ängstlich und fromm, Margret hat geweint, engumschlungen wie Brüder und Schwestern
     in Todesnot haben wir dagehockt. Es war ja, als ginge die Welt unter. Da kams doch nicht mehr drauf an, ob der eine mal ein
     Nazi oder Kommunist gewesen war, der andere ein russischer Soldat und die Margret eine allzu barmherzige barmherzige Schwester,
     da gabs doch nur eins: Leben oder Tod. Wenn man auch nicht mehr so recht reinging in die Kirchen, man hat doch dran gehangen,
     sie gehörten doch ins Bild und ins Leben – und waren an einem einzigen Tag zu Staub geworden, es knirschte uns doch noch tagelang
     der Staub zwischen den Zähnen, saß uns am Gaumen – und wie sind wir nach dem Angriff los, sofort los, um gemeinsam, gemeinsam
     sage ich, das Erbe der Deutschen Wehrmacht anzutreten – und am gleichen Tag noch, als es gerade anfing, dunkel zu werden,
     Lenis und Boris’ Sohn ans Licht der Welt zu verhelfen.« Immer noch Tränen und weicher, noch weicher die Stimme: »Der einzige
     Mensch, der mich verstanden hat, der mich gern hatte, den ich wie einen Sohn an mein Herz und in meine Familie, in mein Geschäft
     und in alles, was Sie wollen, aufgenommen hätte, der mir näher war als meine Frau und näher als meine Kinder mir heute sind
     – wissen Sie wer das war? Boris Lvović – ihn hab ich geliebt, obwohl er mir das Mädel weggenommen hat, an dem mein Herz heute
     noch hängt –, der hat mich vielleicht wirklich gekannt und erkannt, er hat darauf bestanden, daß ich den kleinen Jungen taufe.
     Mit diesen Händen, ja – und ich sage Ihnen, es fuhr mir selbst wien Todesschrecken in die Glieder, weil ich einen Augenblick
     lang dran dachte, was diese |344| Hände letzten Endes schon alles angerichtet haben, an Lebenden und Toten, an Weibern und Männern, an Schecks und in Kassen,
     an Kränzen und Schleifen und so weiter – und ich, ich mit diesen Händen sollte unbedingt seinen kleinen Jungen taufen. Da
     hat sogar die Lotte die Schnauze gehalten, die drauf und dran war, wieder mit ihrem Stöz zu kommen – der blieb die Spucke
     und die Sprache weg, als Boris zu mir sagte: ›Walter‹ – wir duzten uns doch einfach alle nach diesem Zweiten, duzten uns einfach
     –, ›Walter‹, sagte er, ›ich bitte dich jetzt, unserem Sohn die Nottaufe zu geben.‹ Und ich habs getan – bin in mein Büro gegangen,
     hab den Wasserhahn aufgedreht, gewartet, bis der rostige Dreck durchgelaufen war und das Wasser etwas klarer kam, hab mein
     Wasserglas ausgespült, mit Wasser gefüllt und hab ihn getauft, wie ichs als Ministrant so oft gesehen hatte – und weil ich
     ja nicht auch Pate sein konnte, soviel wußte ich doch, haben der kleine Werner und die Lotte den Jungen gehalten, und ich
     habe ihn getauft mit den Worten: ›Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes auf den Namen
     Lev‹ – da hat sogar dieser schurkische kleine Kurt geheult und sogar die scharfzüngige Lotte und Boris, und Margret war sowieso
     in Tränen aufgelöst – nur die Leni hat nicht geweint, die hat dagelegen, mit offenen Augen, entzündet von Staub, und hat gestrahlt
     und diesen Bengel gleich an die Brust genommen. Ja, so war das alles, und nun lassen Sie mich bitte allein – es hat doch zuviel
     in mir aufgewühlt.«
     
    Der Verf. gesteht freimütig, daß auch ihn das alles ziemlich aufgewühlt hatte und daß er mühsam zwei, drei Tränen, die ihm
     in die Augen stiegen, als er sich ans Steuer seines Autos setzte, unterdrücken mußte. Um nicht allzusehr in Rührseligkeit
     zu verfallen, fuhr er schnurstracks zu Bogakov, den er unter erfreulichen Umständen |345| antraf: er saß im Rollstuhl auf einer glasüberdachten Terrasse, in Decken eingewickelt und blickte nachdenklich über eine
     ausgedehnte Laubenkolonie hinweg auf eine Kreuzung zweier Eisenbahnlinien, zwischen die eine Kiesgrube, eine Gärtnerei und
     ein Schrottplatz gequetscht waren. Irgendwo dazwischen etwas so Überraschendes wie ein Tennisplatz, noch Pfützen auf dem verblaßten
     Rot des Bodens, Starfighter in der Luft, Autolärm von einer Umgehungsstraße, Kinder, die auf den Wegen zwischen den Schrebergärten
     mit leeren Milchbüchsen Hockey spielten. Bogakov, ebenfalls in rührseliger Stimmung, ohne Rauchergalgen, allein auf der Terrasse,
     lehnte die angebotene Zigarette ab und griff

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