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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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wurden sie nicht rangelassen – es wurde einfach in sie reingeknallt
     –, und wenn einer von uns den Zivilisten entgegenging: MG, mein Junge, und weg war er. Eine Frau schickte ein kleines Mädchen
     von vielleicht fünf Jahren mit Brot und Milch zu uns hin, so eine richtige süße kleine Natascha – sie dachte wohl, so einem
     süßen kleinen Mädchen, mit Milch in einem Krug und Brot in der Hand, würden sie nichts tun, aber nein – MG –, und unsere kleine
     Natascha war so tot wie jeder andere, und und Blut und Brot lagen auf der Erde. So sind wir von Tarnowka nach Uman, von Uman
     nach Iwan-Gora, von Iwan-Gora nach Gaisin und von dort nach Winniza gekommen, dann nach Schmerinka am sechsten Tag und weiter
     nach Rakowo, das war bei |348| Proskurow; zweimal täglich ein dünnes Erbsensüppchen – da wurden einfach die Kochpötte in die Menge reingestellt, und die
     Menge, das waren zwanzig- bis dreißigtausend; und dann ran an die Pötte – mit der bloßen Hand haben wir uns die Suppe aus
     dem Topf geholt und geschlürft wie die Hunde, wenn wir was mitbekamen – manchmal gabs halbgare gekochte Rüben, Kraut oder
     Kartoffeln, und wenn man davon fraß, bekam man Magenschmerzen, Ruhr – und sie verreckten am Wegesrand. Da lagen wir nun, fast
     bis März 42; und es gab manchmal achthundert oder neunhundert Tote am Tag – dazwischen Prügel und Hohn, Hohn und Prügel und
     hin und wieder mal reingeschossen in die Menge –, und selbst wenn sie nichts zu fressen für uns hatten oder gehabt haben sollten,
     warum ließen sie nicht die friedfertige Bevölkerung ran, die uns was bringen wollte? Dann war ich bei Krupp in Königsberg
     in einem Werk für Raupenketten – nachts elf, tagsüber zwölf Stunden Arbeit –, und gepennt haben wir in Abtritten, und wenn
     einer Glück hatte, erwischte er eine Hundehütte, da wars eng, aber er war wenigstens mal allein. Das Schlimmste war, krank
     zu werden oder als Bummelant zu gelten – die Bummelanten wurden nämlich der SS übergeben –, und wenn du krank warst und nicht
     mehr arbeiten konntest, da gabs nur die Großlazarette, das waren praktisch als Krankenhäuser getarnte Vernichtungsstätten,
     Todeslager, vierfach überbelegt, verdreckt, und die Tagesration bestand aus 250 Gramm Ersatzbrot und zwei Liter Balanda-Suppe:
     das Ersatzbrot bestand zum größten Teil aus Ersatzmehl, und das Ersatzmehl war nichts anderes als ganz grob zerkleinertes
     Stroh, Häcksel und noch Holzfasern dazwischen – die Spreu, die Spelze, der Häcksel reizten die Därme, und das war keine Ernährung,
     sondern systematische Unterernährung –, dazu immer wieder: Prügel und Hohn, immer drauf mit dem Knüppel. Später war wohl offenbar |349| auch der Häcksel zu schade, und es gab Sägemehl im Brot, bis zu zwei Dritteln, und die Balanda-Suppe bestand aus verfaulten
     Kartoffeln, untermischt mit allen möglichen Küchenabfällen und als Gewürz Rattendreck drin – da starben am Tag manchmal hundert
     Mann. Es war fast unmöglich, da wieder rauszukommen, du mußtest schon ein Günstling des Schicksals sein, und so einer war
     ich wohl, ich habe einfach das Zeug nicht mehr gefressen, war hungrig, aber wenigstens nicht krank und hab gleich gemerkt,
     daß es ein Vergiftungsfraß war – und besser wieder zwölf Stunden bei Herrn Krupp Raupenketten montieren. Jetzt kannst du dir
     vorstellen, welch eine Vergünstigung es war, zum Leichensammeln und Trümmerräumen in eine Stadt zu kommen, und daß uns der
     Boris wie der Prinz im Märchen vorkam, der letzten Endes doch den Königsthron besteigt. Der durfte in einer Gärtnerei Kränze
     winden und hatte nicht mal Gärtner gelernt, der wurde mit einem Extraposten morgens geholt und abends gebracht, der wurde
     nicht geprügelt, bekam sogar noch was geschenkt, und – was nun wirklich keiner außer mir wußte – der wurde sogar geliebt und
     liebte. Das war der Königssohn! Und wir, wir waren ja nicht gerade Königssöhne, aber vom Schicksal begünstigt waren wir schon.
     Wir waren zwar nicht würdig, deutsche Leichen anzufassen und wegzubringen, nein, aber Trümmer von den Straßen in die Loren
     schaufeln, Eisenbahngleise reparieren, das durften wir, und beim Trümmerschaufeln begab sich eben manchmal das Unvermeidliche:
     daß so eine Russenhand, eine von einem Russen geführte Schaufel auf eine Leiche stieß, und das gab dann eine unvermeidliche
     Pause, ein unverdientes Glück – bis die Leichen weggeschafft waren, für die der

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