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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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nach des Verf. Handgelenk, als wollte er – Bogakov ihm – dem Verf.– den Puls
     fühlen.
    »Ich hab ja nun eine Frau dort gelassen und einen Sohn, der ungefähr so alt sein dürfte wie Sie, wenn er die zwanzigtausend
     Möglichkeiten, um Kopf und Kragen zu kommen, überstanden hat. Mein Lavrik war 44 neunzehn, und den haben sie sicher noch geholt
     – wer weiß, wohin –, und manchmal denke ich doch dran, hinzufahren und dort zu sterben, egal wo – meine Larissa, ob die wohl
     noch lebt? Ich habe sie ja nun betrogen, sobald ich Gelegenheit dazu hatte, schon im Februar 45, als sie uns an die Erftfront
     schickten, um Gräben und Schützenlöcher und Geschützstellungen zu buddeln. Da hab ich, zum erstenmal nach vier Jahren, nach
     einer Frau gegriffen und bin bei ihr eingekehrt – im Dunkeln, in einer Scheune lagen wir da kreuz und quer, Russen und Deutsche,
     Soldaten, Gefangene, Frauen –, und ich könnte Ihnen nicht sagen, wie alt sie war – nun, gesträubt hat sie sich nicht, nur
     später ein bißchen geweint, denn das waren wir wohl beide nicht gewohnt, Ehebruch, wenn mans so nennen kann, in dieser Dunkelheit,
     in diesem Irrsinn, wo keiner mehr wußte, wo er hingehörte – da lagen wir zwischen Stroh und Rüben, |346| ein richtiges Kulakendorf – Großbüllesheim, mein Gott, wir haben doch beide geweint, ich auch – es war doch mehr ein Zusammenkriechen
     in Angst und Dunkelheit und Dreck, wir mit dem Lehm an unseren Füßen, und vielleicht hat sie mich für einen Deutschen gehalten
     oder für einen Amerikaner. Da lagen nämlich auch so ein paar halberfrorene verwundete junge Amerikaner herum, die sollte einer
     ins Lazarett oder zu einer Sammelstelle bringen, der ist dann wohl von der Fahne gegangen, wie ihr Deutschen das nennt, und
     hat die Jungens einfach da liegen lassen, die nicht viel mehr zu sagen wußten als › fucking war ‹ und › fucking generals ‹ und › shit on the fucking Hürtgen forest ‹ – das war nicht Verbrüderung an der Elbe, sondern an der Erft, und an so einem elenden Flüßchen, über das man wegspucken
     konnte, sollte also die Erftfront gebildet werden, zwischen Rhein und der Westgrenze – da konnte doch ein zehnjähriger Junge
     drüber wegpissen. Nun, ich denke manchmal an die Frau, die sich mir geöffnet hat – ihre Wange habe ich gestreichelt und ihr
     Haar, das war dicht und glatt. Ich weiß nicht mal, obs blond oder braun war und ob sie dreißig oder fünfzig war, und nicht,
     wie sie hieß. – Wir sind im Dunkeln da angekommen und im Dunkeln wieder weg – ich habe nur die großen Höfe gesehen, brennende
     Feuer, auf denen gekocht und gebraten wurde, Soldaten, diese verfrorenen Amerikaner und wir dazwischen, auch der Boris noch,
     dem folgte die Leni ja wie das Mädchen mit den sieben Paar eisernen Schuhen und den sieben Knotenstöcken. Ich hoffe, Sie kennen
     das schöne Märchen. Dunkel, Lehm an den Füßen, Rüben, die Wange einer Frau, ihr Haar, ihre Tränen – und, nun ja, ihren Schoß.
     Marie oder Paula oder Katharina, und hoffentlich ist sie nie auf die Idee gekommen, es ihrem Mann zu erzählen oder irgendnem
     Beichtvater zu flüstern. Kommen Sie, mein Junge, lassen Sie mir Ihre Hand – das ist sehr gut, den Puls eines Menschen |347| zu spüren. Der Gurkenfresser und der Leningrader Weltschmerzrusse sind gemeinsam ins Kino. Schauen sich einen sowjetischen
     Film über die Schlacht bei Kursk an. Meinetwegen. Ich bin schon Anfang August 41 in deutsche Gefangenschaft geraten, mein
     Junge, bei irgendeiner Scheißkesselschlacht, nah bei Kirowograd. – Damals jedenfalls hat die Stadt noch so geheißen, wer weiß,
     wie sie heute heißt, wo man doch weiß, was sie mit Kirow gemacht haben – das war mein Mann, unser Mann, Kirow –, nun gut,
     er ist weg. Das war nicht sehr bekömmlich, eure deutsche Gefangenschaft, mein Junge, und wenn du mir sagst, daß unsere auch
     nicht bekömmlich war, dann sag ich dir, unseren Leuten gings ja genauso dreckig wie den deutschen Gefangenen – drei Tage,
     vier Tage sind wir durch Dörfer und über Felder marschiert und sind vor Durst fast verrückt geworden – wenn wir einen Brunnen
     sahen oder einen kleinen Bach, haben wir uns vor Durst die Lippen geleckt und ans Fressen gar nicht mehr gedacht – zu fünftausend
     Mann in einen Viehhof von einer Kolchose, unter freiem Himmel, und immer noch Durst. Und wenn friedliche Zivilisten, unsere
     eigenen Leute, uns was bringen wollten, zu trinken oder zu essen,

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