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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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gelebt und man es ihm erlaubt hätte.
     Man hat mir dort die scheußlichsten Äußerungen zugeschrieben, Äußerungen, wie sie zwar auf Konferenzen, an denen ich teilnahm,
     gefallen sind, die aber nicht von mir stammen. Trauen Sie mir vielleicht folgendes zu? (Er zog sein Notizbuch und las vor:)
     ›Auch gegen den arbeitswilligen und gehorsamen sowjetischen Kriegsgefangenen ist Weichheit nicht am Platze. Er legt sie als
     Schwäche aus und zieht daraus seine Folgerungen.‹ Außerdem soll ich anläßlich einer Besprechung, die im September 41 beim
     Chef der Heeresrüstung stattfand, |367| vorgeschlagen haben, durch Einbau von vielstöckigen Liegepritschen eine RAD-Baracke (Reichsarbeitsdienstbaracke. Der Verf.),
     die bisher mit einhundertfünfzig Gefangenen belegbar war, für achthundertvierzig Gefangene belegbar zu machen. In einem meiner
     Betriebe sollen Russen morgens ohne Brot und Arbeitskleidung zur Arbeit gekommen und deutsche Arbeiter um Brot angebettelt
     haben – Strafzellen soll es gegeben haben. Dabei bin ich es gewesen, der im März 42 Klage darüber geführt hat, daß die bei
     uns eingesetzten Russen durch miserable Lagerernährung derart geschwächt waren, daß sie nicht mehr in der Lage waren, beispielsweise
     einen Drehstahl einwandfrei anzuziehen. Ich habe persönlich anläßlich einer Besprechung bei General Reinecke, der verantwortlich
     für alle Kriegsgefangenen war, gegen die vorgeschriebene Mischung des sogenannten Russenbrotes protestiert, das aus 50 % Roggenschrot,
     20 % Zuckerrübenschnitzel, 20 % Zellmehl und 10 % Strohmehl oder Laub bestehen sollte. Ich habe durchgesetzt, daß der Prozentsatz
     an Roggenschrot auf 55 %, der an Rübenschnitzeln auf 25 % erhöht wurden, so daß die scheußlichen Bestandteile Zellmehl, Strohmehl
     oder Laub entsprechend gesenkt wurden, jedenfalls in unseren Betrieben – und auf Kosten unserer Betriebe. Es wird doch allzuleicht
     vergessen, daß die Probleme sich nicht gar so einfach stellten. Ich habe Backe, den Staatssekretär im Reichsernährungsministerium,
     und den Ministerialdirektor Moritz drauf hingewiesen, daß Arbeit in der Rüstungsindustrie nicht gleich Todesurteil sein darf
     und daß Arbeit in der Rüstungsindustrie kräftige Menschen erfordert. Schließlich bin ich es gewesen, der die berühmt gewordenen
     sogenannten Mehlsuppentage durchgesetzt hat. Ich habe mit Sauckel Krach bekommen, der mir mit Gefängnis gedroht und mir sämtliche
     Verfügungen des OKH und OKW und des RSHA (Oberkommando des |368| Heeres, Oberkommando der Wehrmacht, Reichssicherheitshauptamt. Der Verf.) buchstäblich um die Ohren schlagen wollte. Und weil
     dieses ganze unmenschliche Ernährungswesen der deutschen Öffentlichkeit verborgen bleiben sollte, habe ich durch gezielte
     Indiskretionen Nachrichten darüber nach Schweden geschmuggelt und mich erheblichen Gefahren ausgesetzt, um die Weltöffentlichkeit
     zu alarmieren, und was war der Dank? Zwei Jahre interniert, fünf Jahre Haft wegen unserer Zweigwerke in Königsberg, für die
     ich nun tatsächlich nicht zuständig war. Nun, gut, gut, andere sind gestorben, anderen hat man noch übler mitgespielt, und
     schließlich bin ich gesund und nicht sonderlich beeinträchtigt (?? Woran? Der Verf.). Wir wollen das vergessen, auch den ganzen
     heuchlerischen Hick-Hack da im Prozeß, wo man mir Dokumente vor die Nase hielt und Äußerungen zuschrieb, die nun wirklich
     nicht von mir stammten. Ich habe mir so gewünscht, diesen Jungen heil durch den Krieg zu bringen, und es ist mir nicht gelungen
     – es ist mir nicht gelungen, seine Eltern und seine Schwester wiederzufinden und, was mir völlig mißlungen ist, Einfluß auf
     die Erziehung seines Sohnes zu nehmen. Schließlich hatte ich doch bewiesen, daß mein kultureller Einfluß auf Boris gar nicht
     so schlecht war. Durch wen hat er denn Trakl und Kafka, letzten Endes auch Hölderlin kennengelernt? Und hat nicht letzten
     Endes diese uneinsichtige Frau durch mich diese Dichter in ihre lückenhafte Bildung einbauen und sie dann an ihren Sohn weitergeben
     können? War es wirklich so anmaßend, wenn ich mich verpflichtet fühlte, über diesen einzigen nachweisbaren Nachkommen der
     Koltowskis eine Art höherer Patenschaft übernehmen zu müssen? Ich bin sicher, daß Boris selbst sich diesem herzlichen Angebot
     nicht entzogen hätte, und wars denn notwendig, mich so schnöde abfahren zu lassen? Besonders diese freche Person, die da wohnte
     – ich |369| habe

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