Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
komischen alten Herrn im Matrosenanzug, der immer
noch von der Fabrik für Zigarettenpapier lebt. Sonst würde die Stadt dieses Ding nämlich wahrscheinlich planieren. Da wird
regelrecht um eine Beerdigungsstelle prozessiert (Kichern. Der Verf.), als wenn man den Jungen nicht ebensogut da unten in
Tirol beerdigen könnte. Und da ist nun die Kapelle, die Tür verfallen, und wenn Sie wollen, können Sie mal reinschauen und
nachsehen, ob Leni und Boris noch was von ihrem Heidekraut übriggelassen haben.«
|374| Der Verf. betrat tatsächlich die recht baufällige kleine Kapelle, betrachtete besorgt die abbröckelnden Fresken im Nazarenerstil
in den architektonisch ganz reizvollen Konchen. Es war schmutzig im Inneren der Kapelle, kühl und feucht, und der Verf. riskierte
ein paar Streichhölzer (ob er sie dem Finanzamt als Unkosten anlasten kann, ist noch ungeklärt, da er als starker Raucher
ohnehin einen ansehnlichen Verbrauch daran hat, es muß noch – durch hochbezahlte amtliche und private Fachkräfte – geprüft
werden, ob etwa dreizehn bis sechzehn Zündhölzer als anteilige Betriebskosten abgeschrieben werden können), um den Altar zu
besichtigen, der des Buntmetalls beraubt worden war; hinter dem Altar entdeckte der Verf. einen merkwürdig rötlichviolett
schimmernden Staub vegetativer Herkunft, der durchaus von verfallenem Heidekraut herrühren könnte; die Herkunft eines weiblichen
Bekleidungsstücks, das gewöhnlich unter Kleid oder Pullover am weiblichen Oberkörper getragen wird, wurde ihm, als er verwirrt
die Beauchamps-Kapelle verließ, von Grundtsch, der seine Pfeife regelrecht schmauchte, erklärt: »Nun, ja, da gehen sie wahrscheinlich
rein, die paar Liebespaare, die sich hin und wieder hierhin verirren und nicht ein und aus wissen, weder einen Hausflur noch
Geld für eine Absteige haben und die Toten nicht fürchten.«
Es wurde ein schöner, ausgiebiger Spaziergang an diesem herben Abend, der so recht danach geschaffen war, ihn mit einem Kirschwasser
in Grundtschs Bude zu beschließen.
»Nun ja«, so Grundtsch, »ich habe eben doch die Nerven verloren, als ich hörte, daß da bei uns zu Hause so schwere Kämpfe
waren, und wollte hin, um meine Mutter noch mal zu sehen, ihr vielleicht beizustehen. Sie war ja nun Ende siebzig, und ich
hatte sie schon fünfundzwanzig Jahre lang nicht mehr besucht, und wenn sie auch ihr Leben |375| lang hinter den Pfaffen hergelaufen war, so war das ja nicht ihre Schuld, sondern die Schuld gewisser (Kichern) Strukturen.
Es war Wahnsinn, aber ich bin hin, viel zu spät, habe mich auf meine Geländekenntnisse verlassen. Ich hab doch als Kind die
Kühe dort gehütet und bin über die Waldwege und an den Waldrändern manchmal bis an die weiße und die rote Wehe gekommen. Nur
haben diese Idioten mich kurz hinter Düren geschnappt, mir eine Flinte in die Hand gedrückt, eine Armbinde gegeben und mich
mit einem Trupp halber Kinder da in die Wälder geschickt. Nun, ich habe eben einen Spähtrupp simuliert – diese Scheiße kannte
ich ja noch vom letzten Krieg –, hab die paar Jungens mitgenommen – aber da nützten mir meine Geländekenntnisse nichts mehr:
da war kein Gelände mehr – nur Trichter, Baumstümpfe, Minen, und wenn die Amis uns nicht ziemlich bald geschnappt hätten,
wären wir hopsgegangen – die kannten nämlich die minenfreien Wege. Zum Glück waren wenigstens diese Jungens gerettet, ich
auch, wenns auch eine Weile gedauert hat, ehe sie mich laufen ließen, vier Monate Kohldampf und Zelte, Dreck und Kälte, na,
schön wars nicht bei den Amis, ich hatte mein Rheuma endgültig weg, und meine Mutter habe ich nie wiedergesehen. Die hat irgend
so ein deutsches Rindvieh abgeknallt, weil sie die weiße Fahne gehißt hat – das Kaff lag doch eine Weile lang zwischen den
Linien, manchmal der Amis, manchmal der Germans, und weg wollte die Alte nicht. Da haben die Germans der fast achtzigjährigen
Mama tatsächlich noch eins mit einer MP verpaßt, wahrscheinlich dieselben Schweine, denen man jetzt da Denkmäler setzt. Und
immer noch tun die Pfaffen nichts gegen die Scheißdenkmäler. Ich sag ihnen, ich war ziemlich fertig, als die Amis mich endlich
im Juni laufen ließen, mit den Landwirten. Das war auch nicht so einfach, obwohl ich doch wirklich in diese Sparte gehörte.
Diese Landwirteparole hatten |376| nämlich die Kolpingsöhne im Lager geheimgehalten und als ihren Tip an ihre Kumpels
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