Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
halten?
Der Abschied von Mieze und dem Herrn war freundlich, es lag immer noch Wehmut in den Stimmen, als sie den Verf. baten, doch
wenn möglich vermittelnd einzuwirken, man sei immer noch und immer wieder bereit, Boris’ Sohn, eben weil er Boris’ Sohn und
Lev Koltowskis Enkel war, »wieder auf die Beine zu helfen«.
Ungeklärt, fast unklar blieb noch Grundtschs physisch-psychische, geographische und politische Situation bei Kriegsende. Ein
Besuch bei ihm war sehr leicht zu arrangieren: Anruf, Verabredung, und Grundtsch stand nach Friedhofschluß an der verrosteten
Eisenpforte, die nur geöffnet wird, wenn jener Kranz- und Blumenabfall, der auf Grund seiner Plastikherkunft nicht zur Kompostbildung
benutzt werden kann, abtransportiert wird. Grundtsch, wie immer gastfreundlich, erfreut über den Besuch, nahm den Verf. bei
der Hand, um ihn »an besonders glitschigen Partien« ungefährdet vorbeizugeleiten. Seine Situation im Inneren des Friedhofs
hatte sich inzwischen erheblich verbessert. Neuerdings im Besitz eines Schlüssels zur öffentlichen Toilette, außerdem zu den
Duschräumen der städtischen Friedhofsarbeiter, ausgerüstet |372| mit einem Transistorradio und -fernsehgerät, genoß er (Es war um die Osterzeit. Der Verf.) ganz den bevorstehenden Hortensienboom,
den er anläßlich des Weißen Sonntags erwartete. An diesem kühlen Märzabend war das Sitzen auf Bänken nicht möglich, wohl aber
ein friedlicher Spaziergang über den Friedhof, diesmal auch zum Hauptweg, den Grundtsch die Hauptstraße nannte. »Unser bestes
Wohnviertel«, sagte er kichernd, »unsere teuersten Grundstücke, und wenn Sie je auf die Idee kommen sollten, dem Walterchen
nicht zu glauben, dann werde ich Ihnen ein paar Sachen zeigen, die seine Angaben beweisen. Der lügt nämlich nie, so wenig
wie er je unmenschlich war« (Kichern). Grundtsch zeigte dem Verf. Reste jener elektrischen Leitung, die Pelzer im Februar
45 mit Grundtsch dort gelegt hatte: es waren Stücke einer schwärzlich isolierten Leitung minderer Qualität, die von der Gärtnerei
zu einer efeubewachsenen Eiche, von dieser durch einen Holunderbusch (an dem noch die Klammern, wenn auch verrostet, zu sehen
waren), durch eine Ligusterhecke zum Erbbegräbnis derer von der Zecke führten. An der Außenmauer dieser würdigen Beerdigungsstätte
wieder Klammern, noch einmal Reste einer schwärzlich isolierten Leitung minderer Qualität – und dann stand der Verf. (nicht
ganz ohne leichtes Schaudern, wie er gestehen muß) vor der ernsten Bronzetür, die seinerzeit den Eingang zum Sowjetparadiese
in den Grüften gebildet hat, an diesem herben Vorfrühlingsabend aber leider verschlossen war. »Da gings also rein«, sagte
Grundtsch, »und drinnen weiter hinüber zu den Herrigers, von dort weiter zu den Beauchamps.« Die beiden Grabstätten der von
der Zecke und Herriger waren sehr gut gepflegt, mit Moos, Stiefmütterchen und Rosen. Dazu Grundtsch: »Ja, die beiden Abonnements
habe ich vom Walterchen übernommen, und die Durchgänge hat er ja nach dem Krieg wieder |373| zumauern und verputzen lassen, leider ziemlich stümperhaft, von dem alten Gruyten, aber die Risse, die später sichtbar wurden,
der bröckelnde Putz, den hat er dann den Bomben zugeschrieben, und das war nicht einmal gelogen, denn es muß hier ganz schön
gebummert haben am Zweiten. Da hinten können Sie noch einen Engel sehen, der hat einen Bombensplitter im Kopf, als wäre jemand
die Streitaxt steckengeblieben.« (Der Verf. konnte trotz einsetzender Dämmerung den Engel sehen und bezeugt hiermit die Grundtsche
Aussage.) »Und ein bißchen Nazarenerkitsch ist ja bei den Herrigers und von der Zeckes draufgegangen, wie Sie sehen. Die Herrigers
habens restaurieren, die von der Zeckes modernisieren lassen, während die Beauchamps beziehungsweise der Beauchamps das Grab
ganz schön verfallen läßt. Der Bengel – nun, der ist auch inzwischen an die fünfundsechzig, aber ich habe ihn noch Anfang
der zwanziger Jahre mit seinem Matrosenanzug hier rumheulen und beten sehen, und der sah ziemlich komisch aus, der war nämlich
für einen Matrosenanzug schon damals ein bißchen alt, wollte ihn aber nicht ausziehen – und vielleicht rennt er jetzt noch
damit rum, da unten in dem Sanatorium bei Meran. Hin und wieder läßt sein Anwalt ja was springen, um wenigstens das ärgste
Unkraut auszumachen, und der Anwalt besteht auf dem Beerdigungsrecht für den
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