Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
natürlich ein gefundenes Fressen für die reaktionäre Presse, die es sich nicht verkneifen konnte, uns eine Überschrift
zu widmen: ›Lernt Beten mit der KPD. Delacroix-Blondine |386| erweist sich als trojanisches Pferd.‹ Überflüssigerweise war sie irgendwann tatsächlich Parteimitglied geworden und hatte
vergessen auszutreten und bekam dann prompt Hausbesuch, als wir verboten wurden, und dann wurde sie trotzig und trat, wie
sie sagte ›erst recht‹ nicht aus, und als ich sie mal fragte, warum sie denn nun wirklich bei uns mitgemacht hätte, sagte
sie: ›Weil die Sowjetunion solche Menschen wie Boris hervorgebracht hat.‹ Man könnte verrückt werden, wenn man bedenkt, daß
sie auf eine sehr komplizierte Weise tatsächlich zu uns gehörte, wir aber nicht zu ihr – dann, ja, dann dreht sich einem alles
im Kopf herum, weil man daran erkennt, warum die proletarische Weltbewegung nun in Westeuropa total Pleite macht. Ach, lassen
wirs. Ich gehe nach Italien, und es tut mir leid zu hören, daß es ihr so dreckig geht. An mich wird sie sich ja nun nicht
gern erinnern, sonst würde ich Sie bitten, ihr einen Gruß auszurichten. Ich hätte auf die Ilse hören sollen und auf den alten
Gruyten, den Vater von dem Mädel, der nur gelacht hat, gelacht und den Kopf geschüttelt, wenn seine Leni mit der roten Fahne
loszog.« Es müßte vielleicht noch ergänzt werden, daß Fritz und der Verf. sich abwechselnd Zigaretten anboten, während Fritz
mit einer fast schon lustvollen Verachtung die von ihm so verachteten bürgerlichen Zeitungen verkaufte. Er tat das mit Handbewegungen
und einer Gestik, die ein sensibler Zeitungskäufer als beleidigend hätte empfinden können. Fritzens Kommentar: »Da gehen sie
nun hin und lesen diesen Schwindel, diesen feudalistischen Klitterkitsch, bei dem Sie sogar, wenn Sies lesen, die nötige Herablassung
in den Stimmen der Verfasser heraushören. Und fressen Sex und Hasch, wie sie früher den Pfaffenkram gefressen haben, und tragen
Mini und Maxi so brav, wie sie früher ihre züchtigen Nonnenblüschen getragen haben. Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Wählen
Sie Barzel oder Köppler, dann haben Sie den liberalen Labberdreck |387| wenigstens aus erster Hand. Ich, ich lerne die Sprache der Menschen, Italienisch, und verbreite den Slogan: Hasch ist Opium
fürs Volk.«
Der Verf., dem ein schwerer Stein vom Herzen gefallen ist, da er diese peinliche Episode in Lenis Leben halbwegs erklärt hat,
scheiterte bei weiteren potentiellen Auskunftspersonen schon an deren Haus- bzw. Wohnungstür, wo er mit der Frage begrüßt
wurde: »Sind Sie für oder gegen 68?« Da der Verf., völlig durchsetzt von den unterschiedlichsten Motivationen, hin und her
gerissen zwischen den verschiedensten Sensibilitäten, nicht sofort, jedenfalls nicht beim ersten Mal, begriff, warum er sich
für oder gegen ein ganzes Jahr des zwanzigsten Jahrhunderts entscheiden sollte, grübelte er zu lange über dieses Jahr nach
und entschied sich schließlich, aus, wie er freimütig gesteht, einem fast habituellen Negationsbedürfnis, für die Antwort:
»Dagegen« – und hatte damit jene Türen endgültig für sich zugeschlagen. Immerhin gelang es ihm, in einem Archiv jene Zeitung
aufzutreiben, die von Fritz im Zusammenhang mit Leni zitiert worden war. Es war eine christliche Zeitung, Jahrgang 1946, das
Zitat von Fritz wurde als »wörtlich übereinstimmend« (Der Verf.) verifiziert. Interessant und damit vielleicht mitteilenswert
waren außerdem zwei Dinge: der Wortlaut des Artikels selbst und ein Zeitungsfoto, das eine mit KPD-Fahnen und -Emblemen geschmückte
Rednertribüne zeigt, auf der man Fritz in geübter rhetorischer Pose sehen kann – verblüffend jung: etwa Mitte bis Ende Zwanzig,
noch ohne Brille. Im Hintergrund sieht man Leni, die einen Wimpel mit Sowjetemblemen schräg über Fritzens Kopf hält, eine
Pose, die den Verf. lebhaft an die Rolle von Fahnen bei gewissen liturgischen Veranstaltungen erinnert, die bei den weihevollsten
Augenblicken das Senken der Fahnen vorschreiben. Leni übte auf diesem Foto auf den |388| Verf. zweierlei Wirkungen aus: sympathisch und fehl am Platz, um nicht zu sagen, was nicht leichthin gesagt werden kann –
verlogen. Der Verf. würde am liebsten seine ungeteilte seherische Kraft durch eine noch zu erfindende Linse auf dieses Foto
konzentrieren, um Leni daraus wegzubrennen. Glücklicherweise ist sie auf diesem schlecht
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