Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
vom Gesichtspunkt des Berichterstatters aus aber unergiebigen Begegnungen mit den beiden Jesuiten in Freiburg
und Rom waren – einschl. der Telefon-, Telegramm-, Porto- und Reisekosten – zweifellos Fehlinvestitionen gewesen; sie hatten
ihm nicht viel mehr eingebracht als ein Heiligenbildchen, während doch die exokrin wie endokrin so fehlerhaft funktionierende
Margret, die zu besuchen ihn hin und wieder ein paar Blumen, einen Flachmann bescheidenen Umfangs voll Gin und gelegentlich
ein paar Zigaretten kostete, nicht einmal ein Taxi – da er schon aus gesundheitlichen Gründen meistens zu Fuß dorthin ging
–, ein paar kräftige, überraschende Details über Heinrich Gruyten eingebracht hatte. Außerdem waren nicht nur steuerpolitische,
auch menschliche Rücksichten zu erwägen: würde er die liebenswürdige |391| Schwester Cecilia nicht in Schwierigkeiten bringen, Schwester Sapientia nicht in Verlegenheit und dem, wenn auch wenig sympathischen
Alfred Scheukens möglicherweise eine neuerliche Strafversetzung einbringen?
Um in Ruhe über alle diese Probleme nachdenken zu können, fuhr er zunächst an den Niederrhein, passierte in einem Abteil zweiter
Klasse in einem Zug ohne Speisewagen, ja ohne Getränkeangebot, die Heimat Siegfrieds, kurz darauf die Stadt, in der Lohengrin
die Nerven verlor, und fuhr von dort mit dem Taxi etwa fünf Kilometer weiter, vorbei an der Heimat von Joseph Beuys, in ein
Dorf, das schon ziemlich uneingeschränkt niederländisch wirkte. Von der unkomfortablen fast zweistündigen Fahrt ermüdet, fast
ein wenig gereizt, entschloß sich der Verf. zunächst zu einer kleinen Stärkung, die er an einer Frittenbude einnahm, wo er
von einer einnehmend wirkenden blonden Frau aufs freundlichste mit Fritten, Mayonnaise und Bouletten (warm) versorgt, zum
Kaffee dann in eine gegenüberliegende Gastwirtschaft geschickt wurde. Es war ein nebliger Tag, Waschküche, und es wurde einleuchtend,
daß Siegfried seinerzeit auf dem Weg nach Worms nicht nur durch Nifelheim geritten, auch aus demselben gekommen war. In der
Gastwirtschaft war es warm und still; ein schläfriger Wirt bediente zwei schläfrige männliche Gäste mit Korn, schob auch dem
Verf. einen großen Korn zu mit den Worten: »Das ist das Beste bei diesem Wetter, nimmt das Frösteln weg und außerdem: nach
Fritten mit Mayonnaise notwendig«, sprach dann ruhig mit seinen beiden Gästen weiter, in einem Dialekt, der nach Printen klang,
kehlig auch, ausgesprochen batavisch. Obwohl der Verf. hier nur etwa einhundert Kilometer von seiner Ausgangsbasis entfernt
war, kam er sich vergleichsweise südländisch vor; angenehm war ihm die geringe Neugierde der beiden schläfrigen |392| Männer und des Wirts, der ihm schon den zweiten Korn über die Theke schob; Hauptgesprächsgegenstand schien »de Kerk« zu sein,
sowohl im konkreten, architektonischen und organisatorischen wie im abstrakten, fast metaphysischen Sinn; viel Kopfschütteln,
einiges Gemurmel, dann einiges über die Paapen, womit keineswegs der peinliche Reichskanzler gemeint gewesen sein kann; wahrscheinlich
wäre er diesen würdigen Männern nicht der Erwähnung wert gewesen. Ob einer dieser drei Männer, die ausnahmsweise, obwohl Deutsche
in einer Kneipe, nicht über den Krieg sprachen, Alfred Bullhorst gekannt haben mochte? Wahrscheinlich alle drei, möglicherweise
oder ziemlich sicher hatten sie mit ihm auf der Schulbank gehockt, waren mit ihm am Samstag frisch gebadet und mit naß gekämmtem
Haar zum Beichten, am Sonntag in die Messe und am Sonntagnachmittag in jene Unterweisung gegangen, die etwas weiter südlich
Kristelier hieß, waren in Pantinen über Eisschlitterbahnen gerutscht, hin und wieder nach Kevelaer gepilgert und hatten aus
Holland Zigaretten geschmuggelt. Dem Alter nach mußten, mochten sie ihn gekannt haben, der da in Margrets Lazarett Ende 1944
nach einer Doppelamputation gestorben war und dessen Soldbuch zweckentfremdet worden war, um einem sowjetischen Soldaten –
vorübergehend jedenfalls – Legitimation zu verleihen. Den dritten Korn lehnte der Verf. ab, bat um Kaffee, um von der angenehmen
Schläfrigkeit nicht eingeschläfert zu werden. Hatte Lohengrin an einem solchen Nebeltag hier in Nifelheim die Nerven verloren,
als Elsa ihn tatsächlich fragte; hier irgendwo den Schwan bestiegen, der den Nachgeborenen gerade recht gewesen war, um als
Margarinemarke verwendet zu werden? Der Kaffee war sehr gut, er
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