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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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wurde von einer Frauensperson, von der der Verf. nur die rötlichweißen
     prallen Arme sehen durfte, hineingereicht, vom Wirt wurde freundlich viel Zucker auf die |393| Untertasse gehäuft, nicht Milch, sondern Sahne war im obligatorischen Kännchen. Kerk und Paapen, leichter Zorn in den immer
     noch gedämpften Stimmen. Warum, warum war Alfred Bullhorst nicht drei Kilometer westlich geboren, und wenn ja, welches Soldbuch
     hätte dann Margret für Boris an jenem Tag klauen können?
    Nachdem er halbwegs gestärkt war, ging der Verf. zunächst in die Kirche, wo er die Gefallenentafel als Adreßbuch benutzte;
     es gab da vier Bullhorsts, aber nur einen Alfred – und dieser Alfred war dort – zweiundzwanzigjährig – nicht 1944, sondern
     1945 als verstorben gemeldet. Das war verwirrend. War nicht auch hier wie bei Keiper, für den Schlömer ein zweites Mal gefallen
     war, ein Doppelmord gemeldet? Der Küster, der zur Verrichtung irgendwelcher liturgischen Vorbereitungen – waren es grüne,
     violette oder rote Tücher, die da irgendwo ausgebreitet wurden? – ungeniert mit der Pfeife im Mund aus der Sakristei kam,
     wußte Rat. Da der Verf. völlig ungeeignet ist, zu lügen oder irgend etwas zu erfinden (er ist auf eine schon peinliche Art
     faktenabhängig, wie jedermann inzwischen begriffen haben wird), murmelte er undeutlich in tiefer Verlegenheit etwas von einem
     Alfred Bullhorst, der ihm im Krieg einmal begegnet sei, woraufhin der Küster, ungläubig, wenn auch nicht mißtrauisch, sofort
     erzählte, daß »ihr« Alfred in französischer Kriegsgefangenschaft im Bergwerk tödlich verunglückt, in Lothringen begraben sei;
     daß ein Abonnement auf Grabschmuck für ihn über eine Gärtnerei in St. Avold laufe; daß seine Braut – »ein zartes, schönes
     Mädchen, blond, lieb und klug« – ins Kloster gegangen sei, Alfreds Eltern heute noch untröstlich seien, weil es ihn ausgerechnet
     da noch erwischt habe, als der Krieg schon vorüber war. Ja, er sei Arbeiter in der Margarinefabrik gewesen, brav, still, ungern
     Soldat, und wo denn der Verf. ihm begegnet sei. Immer noch nicht mißtrauisch, nun aber doch neugierig, |394| blickte der kahlköpfige Küster den Verf. so eindringlich an, daß jener sich, rasch eine Kniebeuge hinpfuschend, eiligst verabschiedete.
     Er hätte nur ungern Alfreds Sterbedatum korrigiert, nur ungern Alfreds Eltern erzählt, daß ihr Grabschmuckabonnement dem Gebein,
     der Asche, dem Staub eines Sowjetmenschen zugute komme, nicht weil er – der Verf. – es jenem Staub, jener Asche nicht gegönnt
     hätte – nein, aber man weiß doch gern, daß der, den man in einem Grab vermutet, auch wirklich drin liegt, und das schien hier
     doch offensichtlich nicht der Fall zu sein, und was am meisten beunruhigend war: offenbar hatte hier doch die deutsche Todesbürokratie
     gänzlich versagt. Es war zu verwirrend. Und wahrscheinlich war im Küster ohnehin Verwirrung genug gestiftet.
     
    Die Schwierigkeit, ein Taxi zu finden, soll hier nicht geschildert werden, auch nicht der längere Aufenthalt in Kleve, ebensowenig
     die fast zweistündige Rückfahrt in einem höchst unkomfortablen Zug, der wieder Xanten berührte.
    Margret, noch am gleichen Abend um Auskunft gebeten, schwor »Stein und Bein«, daß dieser Alfred Bullhorst unter ihren Händen
     gestorben sei: blond, traurig, nach einem Priester begehrend, beider Beine ledig – nur sei sie, bevor sie seinen Tod gemeldet
     habe, rasch in die Schreibstube gelaufen, die Dienstschluß gehabt habe, habe mit einem Nachschlüssel den Rollschrank geöffnet
     und sein Soldbuch entwendet, habe es in ihrer Handtasche versteckt und dann erst Alfreds Tod gemeldet. Ja, er habe ihr von
     seiner Braut erzählt, einem schönen, stillen, blonden Mädchen, habe auch seinen Herkunftsort – eben jenen, den der Verf. im
     Dienste der Wahrheit unter Strapazen aufgesucht hatte – erwähnt, aber es sei wohl möglich, daß in der Eile, so kurz vor der
     Verlegung des Lazaretts, die |395| »Förmlichkeiten« vergessen worden seien, womit sie nicht die Beerdigung meine, sondern die Meldung seines Todes an seine Verwandten.
    Hier bleibt nur eine Frage zu stellen: hat die deutsche Bürokratie wirklich versagt, oder hätte der Verf. die Pflicht gehabt,
     zu den alten Bullhorsts vorzudringen und ihnen reinen Wein über das Gebein einschenken müssen, dem sie da jährlich zu Allerheiligen
     Heidekraut oder Stiefmütterchen pflanzen lassen, und sie zu fragen, ob ihnen denn

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