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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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wird sogar die Poesie eines Dichters vom Range Kleists auf billiges Illustriertenniveau herabgezogen. Doch
     ich will nicht ausweichen. Das Schlimme am Falle Ginzburg ist nicht, wie Sie möglicherweise unterstellen, daß die Wunder manipuliert
     sind! Das Gegenteil ist der Fall: wir werden die Wunder nicht los! Wir werden die Rosen nicht los, die |400| mitten im Winter dort wachsen, wo Schwester Rahel begraben liegt! Zugegeben, wir haben Sie von Schwester Cecilia und von Scheukens
     – der übrigens aufs beste versorgt ist, um den brauchen Sie sich keine Sorge zu machen – ferngehalten, aber nicht, weil wir
     das Wunder manipulieren, sondern weil das Wunder uns manipuliert, und wir Außenstehende mit publizistischen Neigungen fernhalten
     wollen, nicht, weil wir den Seligsprechungsprozeß wollen, sondern weil wir ihn nicht wollen! Glauben Sie nun, was Sie mir
     zu glauben versprachen?« Der Verf. sah sie diesmal, bevor er antwortete, nachdenklich und »forschend« an: Schwester Klementina
     wirkte plötzlich so – es kann nicht anders ausgedrückt werden – verfallen, auch nervös, rückte an ihrer Haube, wobei – auch
     das ist leider wahr – dunkelrotes Haar in prächtiger Fülle sichtbar wurde; sie angelte sich schon wieder eine Zigarette aus
     der Packung, diesmal mit der müden Routine einer kettenrauchenden Studentin, die morgens gegen vier Uhr verzweifelt einsieht,
     daß das Referat über Kafka, das sie sechs Stunden später halten soll, total mißglückt ist. Sie goß Tee nach, gab Milch und
     Zucker in exakt der Proportion hinzu, die der Verf. bevorzugt, rührte sogar für ihn um, schob ihm die Tasse näher und blickte
     ihn – es ist kein anderer Ausdruck dafür möglich – hilfesuchend an. Man muß sich die Situation noch einmal vergegenwärtigen:
     sonniger Spätnachmittag im Frühling. Rom. Pinienduft. Ersterbendes Zikadengeschrei – Kirchenglocken, Marmor, Morris-Ledersessel,
     Holzkübel mit soeben erblühenden Päonien, alles geradezu vibrierend von jener Katholizität, von der Protestanten hin und wieder
     verzückt schwärmen; Klementinas vor Minuten noch voll erblühte Schönheit plötzlich verwelkt; ihre ernüchternde Bemerkung über
     die »Marquise von O. ..«. Aus dem flaschengrünen Karton nahm sie seufzend Papier um Papier heraus, kleine Packen, mit Büroklammern
     oder |401| Gummi zusammengehalten, fünf, sechs, zehn, achtzehn – insgesamt sechsundzwanzig: »Für jedes Jahr ein Bericht und immer derselbe:
     Rosen, die im Dezember plötzlich aus der Erde schießen. Rosen, die erst dann verblühen, wenn die Rosen normalerweise anfangen
     zu blühen! Wir haben zu den verzweifeltsten, Ihnen möglicherweise makaber vorkommenden Mitteln gegriffen, wir haben sie exhumiert,
     ihre – nun Überbleibsel, die durchaus in einem Verfallsstadium waren, das ihrem Todesalter entspricht, in andere Friedhöfe
     des Klosters verlegt, wir haben, nachdem auch da die schrecklichen Rosen erblühten, wieder exhumiert, zurückverlegt, noch
     einmal exhumiert, wir haben sie kremieren lassen, die Urne in die Kapelle gestellt, wo nun wirklich keine Spur von Muttererde
     in ihrer Nähe war: Rosen! Sie quollen aus der Urne, überwucherten die Kapelle; zurück mit ihrer Asche in die Erde – und wieder:
     Rosen. Ich bin sicher, würden wir die Urne vom Flugzeug abwerfen lassen, aus dem Ozean, aus der Wüste würden Rosen wachsen!
     Das ist unser Problem. Nicht die Verbreitung, die Geheimhaltung ist unser Problem, und deshalb, deshalb mußten wir Sie von
     Schwester Cecilia fernhalten, mußten wir Scheukens zum Verwalter eines landwirtschaftlichen Guts in der Nähe von Würzburg
     befördern, deshalb beunruhigt uns Frau Pfeiffer, nicht, weil sie das – nun sagen wir – Phänomen abstreiten, sondern weil sie
     es wahrscheinlich, nach allem, was ich von ihr weiß, nun durch Ihre Mitteilungen über sie ergänzt – weil sie es für vollkommen
     selbstverständlich halten würde, daß aus der Asche ihrer Haruspica in jedem Jahr ungefähr Mitte Dezember Rosen erblühen, eine
     dichte, dornige Rosenhecke, wie sie mir nur aus dem Märchen von Dornröschen bekannt ist. Fände das alles in Italien statt
     – hier brauchten wir nicht einmal die Kommunisten zu fürchten, aber in Deutschland! Das wäre doch ein Rückfall in was weiß
     ich für ein Jahrhundert. |402| Was würde aus der Liturgiereform, was aus der Aufklärung über die physikalisch-biologische Plausibilität von sogenannten Wundern!
     Und außerdem: wer

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