Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
doch eine großartige Banalität ausgesprochen werden: daß der Verf., obwohl er sich bemüht, wie ein
gewisser Arzt auf seinen verschlungenen Pfaden »mit irdischem Wagen, unirdischen Pferden« zu fahren, daß auch er nur ein Mensch
ist; daß er aus gewissen literarischen Werken den Seufzer »mit Effi an der Ostsee« wohl heraushört und ohne Gewissensbisse,
da ihm keine Effi, mit der er an die Ostsee fahren könnte, zur Verfügung steht, einfach mit Klementina nach – sagen wir –
Veitshöchheim fährt und mit ihr dort existentielle Fragen erörtert; sie »seine« zu nennen sträubt er sich, weil sie sich sträubt,
die »seine« zu werden; es liegt bei ihr ein ausgesprochener Haubenkomplex vor, da sie fast achtzehn Jahre unter der Haube
verbracht hat, will sie nicht mehr drunter, sie hält das, was man einen ehrenhaften Antrag nennt, für unehrenhaft; übrigens
sind ihre Wimpern doch länger und weicher, als es in Rom einen Augenblick lang schien; seit Jahrzehnten Frühaufsteherin, genießt
sie das Langschlafen, Frühstück im Bett, Spaziergang, Mittagsschlaf, hält ziemlich lange Vorträge (die man vielleicht auch
Meditationen oder Monologe nennen könnte) über die Gründe ihrer Angst, gemeinsam mit dem Verf. die Mainlinie in nördlicher
Richtung zu überschreiten. Über ihr Vor-Veitshöchheim-Leben wird nicht gesprochen. »Nimm an, ich wäre geschieden oder eine
Witwe – dann würde ich dir ja auch kein Wort über meine Ehe erzählen wollen.« Ihr wahres Alter ist einundvierzig, ihr wahrer
Name Carola, doch hat sie nichts dagegen, weiterhin Klementina genannt zu werden. Bei näherem Zuschauen, nach einigen Gesprächen
stellt sich heraus, daß sie verwöhnt ist: keinerlei Miet-, Kleider-, Büchersorgen, keine Versorgungssorgen – daher Lebensangst, |445| selbst die Kosten eines simplen Nachmittagskaffees – in möglicherweise auch Schwetzingen oder Nymphenburg – erschrecken sie,
jedes Zücken des Portemonnaies versetzt sie in Furcht. Das notwendige dauernde Telefonieren nach »Nordmainien« – so nennt
sie das – macht sie nervös, weil sie alles, was sie über Leni hört, für fiktiv hält. Nicht Leni selbst, die ihr ja aus den
Ordensdossiers aktenkundig ist, sie hat zwar nicht den berühmten Aufsatz über die »Marquise von O...« auftreiben und lesen
können, aber von Schwester Prudentia schriftlich Bestätigung über Form und Inhalt desselben erhalten. Jede Erwähnung von Rahel
Ginzburg macht sie nervös, und die Aufforderung des Verf., doch mit ihm nach Gerselen zu fahren und dort Rosen zu pflücken,
erwiderte sie mit einem katzenhaften Ausholen ihrer linken Hand; sie will »von Wundern nichts wissen«. Vielleicht ist hier
der Hinweis erlaubt, daß sie – unbewußt – den Unterschied von Glauben und Wissen mißachtet; sicher ist, daß Gerselen Aussicht
hat, ein Thermalbad zu werden; das Wasser hat dort eine Temperatur von 38 bis 39 Grad Celsius, was als ideal gilt. Sicher
ist außerdem, wie telefonisch zu erfahren war, daß Scholsdorff sich außerordentlich engagiert hat (lt. Schirtenstein), daß
die zitierte Zeitung verklagt ist, Ausdrücke wie »übel beleumundetes Haus« und »Gunstgewerblerin« zurückzunehmen, wobei die
einzige Schwierigkeit ist, das Gericht davon zu überzeugen, daß der »liebenswürdige Ausdruck Gunstgewerblerin« als Beleidigung
zu gelten hat; außerdem: Lotte bewohnt vorübergehend Levs Zimmer, die beiden Türken Tunç und Kiliç werden wahrscheinlich Lottes
Appartement übernehmen (falls der Hausbesitzer, der als »Levantiner-Hasser« gilt, zustimmt), weil Leni und Mehmet entschlossen
sind, eine Lebensgemeinschaft einzugehen, eine vorläufige Bezeichnung, denn Mehmet ist verheiratet, jedoch Mohammedaner, was
eine zweite Frau zulässig |446| macht, nach seiner, nicht nach der gesetzlichen Voraussetzung seines Gastlandes, es sei denn, Leni würde Mohammedanerin, was
nicht als ausgeschlossen gilt, da auch der Koran der Madonna einen Platz eingeräumt hat. Inzwischen ist auch das Einkaufsproblem
gelöst, da das älteste der portugiesischen Kinder, die achtjährige Manuela, Brötchen holt. Man hat Helzen bei seiner Behörde
»unter vorläufig sanften Druck« (alles nach Schirtenstein) gesetzt. Leni hat sich inzwischen mit dem »Helft-Leni-Komitee«
konfrontiert, ist »vor Freude und auch Scham« errötet (wahrscheinlich zum viertenmal in ihrem Leben. Der Verf.), ihre Schwangerschaft
ist von einem Gynäkologen
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