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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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erwäge er sie »als Spatz in der Hand«, als diese dann aus dringenden und einleuchtenden Gründen
     (sie hatte zwischen drei und sechs bei Scholsdorff vier, bei Schirtenstein drei Tassen Tee, bei Pelzer bis zur Stunde zwei
     Tassen Kaffee getrunken) für eine Weile verschwand, flüsterte Pelzer: »Man hat es erst für eine Diabetes gehalten, aber mein
     Blutzuckerspiegel ist völlig normal, auch sonst – nichts. Sie können mir glauben, und Sie dürfen lachen, ich spüre zum erstenmal,
     daß ich eine Seele habe und daß diese Seele leidet; zum erstenmal erlebe ich, daß nicht irgendeine, nur eine Frau mich heilen
     kann; ich könnte diesen Türken |449| erwürgen – was findet sie nur an diesem Bauernlümmel, der nach Hammel und Knoblauch stinkt und im übrigen zehn Jahre jünger
     ist als sie; er hat eine Frau und vier Kinder, und jetzt hat er auch ihr eins gemacht – ich – helfen Sie mir doch.« Der Verf.,
     der ziemliche Sympathie für Pelzer entwickelt hat, gab zu bedenken, daß in einer solchen Not die Vermittlung Dritter erfahrungsgemäß
     fehlschlage, sogar das Gegenteil bewirke, das sei nun eine Sache, in der der damit Geschlagene allein fertig werden müsse. »Dabei«, so Pelzer, »haue ich der Madonna jeden
     Tag ein Dutzend Kerzen hin, ich – nun von Mann zu Mann – suche Trost bei anderen Frauen, ich finde ihn nicht, ich trinke,
     gehe in Spielbanken – aber rien ne va plus , kann ich nur sagen. Bitte.« Wenn hier gesagt wird, daß Pelzer ergreifend wirkte, so ist darin bitte keine Spur von Ironie
     zu entdecken, zumal er selbst zutreffend seinen Zustand kommentierte: »Ich bin nie im Leben verliebt gewesen, nie, hab mich
     mit käuflichen Weibern rumgetrieben, ja Hurerei hab ich betrieben, und meine Frau, nun, ich habe sie sehr gern gehabt, hab
     sie noch gern, und es soll ihr kein Leid geschehen, solange ich lebe – aber verliebt war ich nicht in sie, und die Leni, nun,
     die habe ich begehrt, seitdem ich sie zum erstenmal sah, und immer kommen mir irgendwelche Ausländer dazwischen, verliebt
     war ich nicht in sie, das bin ich erst, seit ich sie vor einer Woche wiedersah. Ich ... ich bin doch gar nicht am Tod ihres
     Vaters schuld, ich – ich liebe sie – das habe ich noch von keiner Frau gesagt.« In diesem Augenblick kam Klementina zurück
     und drängte, unauffällig und doch spürbar, zum Aufbruch. Ihr Kommentar war vergleichsweise schnöde, zumindest kühl und recht
     sachlich: »Du kannst es nennen, wie du willst – die Pelzersche oder die Schirtensteinsche Krankheit.«
    |450| Anläßlich des Ausfluges nach Tolzem-Lyssemich war Gelegenheit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Klementina, die
     sich ständig als überzeugte Gebirglerin und Bayerin bezeichnet und nur widerwillig zugibt, daß auch nördlich des Mains sympathische
     Menschen wohnen, konnte mit den Reizen, ja der Faszination des Flachlandes bekannt gemacht werden, das ihr vielleicht etwas
     zu enthusiastisch vorgestellt wurde; sie gab zu, noch nie so flache Flächen und so weite Flächen gesehen zu haben, die sie
     an Rußland erinnern würden, »wenn ich nicht wüßte, daß das hier nur drei- bis vierhundert Kilometer weit anhält, während es
     da gleich tausende sind, aber du mußt zugeben, es erinnert an Rußland«. Die Einschränkung »bis auf die Zäune« wollte sie nicht
     gelten lassen, wie sie überhaupt eine längere Meditation über Zäune, Hecken, Grenzmarkierungen als zu »literarisch«, eine
     Andeutung auf deren keltischen Ursprung als »zu rassisch« ablehnte, letzten Endes aber doch, wenn auch wiederum widerstrebend,
     zugab, »es hat einen Horizontal-Sog, während es bei uns Vertikal-Sog ist; hier hast du immer das Gefühl zu schwimmen, auch
     im Auto und wahrscheinlich auch im Zug, und du bekommst Angst, du würdest das Ufer nie erreichen, oder gibts hier überhaupt
     ein Ufer?« Ein Hinweis auf die sichtbaren Erhebungen des Vorgebirges und der Voreifel entlockten ihr lediglich ein verächtliches
     Lachen.
    Marja van Doorn hingegen war ein voller Erfolg. Pflaumenkuchen mit Sahne (Kommentar: »Ihr eßt ja hier bei jeder Gelegenheit
     Schlagrahm.«) ein Kaffee, den M. v. D., »wie es sich ja eigentlich gehört«, frischgeröstet und frischgemahlen hatte, erwies
     sich als unwiderstehlich, »phantastisch, der erste Kaffee, den ich überhaupt getrunken habe, jetzt erst weiß ich, was Kaffee
     ist« usw. usw. Und: »Ihr seid vielleicht Genießer.« Auch bei M. v. D. ein Abschiedskommentar: »Ein

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